Beinahe ein ganzes Jahr Wahlkampf. Eine anstrengende Zeit, nicht nur für die Kandidaten. Und zugegebenermaßen bisweilen mehr als frustig. Gute Freunde beflegeln einander am Stammtisch. Gräben ziehen sich durch Familien. Und im Job fragt man sich, wer nun Van der Bellen und wer Hofer wählen wird. Man beäugt sein Umfeld kritisch. Und kein Gespräch der letzten Wochen hatte nicht irgendwann die Bundespräsidentenwahl zum Thema. Ganz ehrlich? Ich bin müde. Und ich frage mich, wie sich erwähnte Gräben zuschütten und Risse wieder kitten lassen. Irgendwie zumindest. In Anbetracht des schier endlosen Wahlkampfs, der am Sonntag hoffentlich endlich ein Ende haben wird, kamen mir viele Gedanken. Die Streitereien waren für mich nur noch schwer auszuhalten. Die Sozialen Medien mied ich so gut es ging. Genauso wie Wirtshäuser. Und richtete meine Energie nach innen. Als jemand, die von manchen vielleicht als “empfindlich” abgestempelt wird, bin ich gleichzeitig irgendwie froh darüber, noch empfindlich sein zu können. Was immer offensichtlicher wird, ist die zunehmende Unempfindlichkeit. Das fehlende Gespür im Umgang mit anderen, das ich auch bei mir rückblickend erkennen kann. Denn empfinden zu können und empathisch zu sein, ist nichts Negatives. Im Gegenteil. Es fehlt immer mehr. Wenn von Solidarität die Rede ist, meinen wir die Solidarität der anderen, die sich endlich einmal zusammenreißen und gefälligst nicht so unsolidarisch sein sollen. Die anderen sind die Gemeinen! Die anderen sind die Fiesen und Bösartigen! Die anderen sollen endlich einmal einsehen, dass ich recht habe! Die anderen sind die Dämonen, die sich bitte zu schleichen haben. Dann wäre die Welt doch so viel schöner. Und das erschreckt mich. Es belastet mich und macht mich hoffnungslos. Während sich Hofer- und Van-der-Bellen-AnhängerInnen schon im zuversichtlichen und hoffnungsvollen Siegestaumel in Richtung Zielgerade bewegen, habe ich mich drauf verlegt, vor allem in den letzten Wochen zunehmend stiller zu werden und zu beobachten, was so rund um mich passiert. Natürlich bin ich Van-der-Bellen-Wählerin. Es reicht, das ein Mal zu sagen. Und dass ich Norbert Hofer, seinen Parteivorsitzenden und den Wahlkampfleiter, der kein Problem damit hat, bei einem Kongress von Rechtsextremen auf dem Podium zu stehen, schlicht als nicht zuträglich für die Menschen in unserem Land befinde, ist auch kein Geheimnis. Die Frage, die mir allerdings wichtiger erscheint, ist: Wie geht’s nach der Entscheidung weiter? Vermutlich wird man auch danach bemüht sein, die Uneinsichtigen als dumm, vergasenswert, aufhängeverdächtig, verschwörungsverwickelt oder schlicht räudig anzusehen. Viele von uns werden sich im Post-Wahl-Kater Gedanken darüber machen müssen, wie sie Gesagtes wieder gerade biegen und zugefügte Verletzungen und Risse wieder kitten können. Die postfaktische Gesellschaft lebt von ihren Emotionen. Sie lebt davon zu verletzen, Angst zu haben, andere auszunutzen und sich selbst zu erhöhen. Sie lebt davon, mit dem Finger auf “die da drüben, die nicht zu mir gehören” zu zeigen. Der Wunsch nach Einigung und Harmonie wird gleichzeitig immer größer. Doch viele von uns tragen dazu bei, dass wir uns von diesem Wunsch entfernen. Findet ihr nicht auch, dass es ungemein anstrengend ist zu hassen? Sich permanent aufzuregen und dabei zu vergessen, dass wir damit Energie verpulvern, die als Kitt einer fragilen Gesellschaft gerade jetzt so notwendig wäre? Ich sag mal so: Ich halte das ehrlich gesagt nicht mehr wirklich aus. Und habe deshalb zwei Möglichkeiten: Mich zurückzuziehen und darauf zu pfeifen, dass wir alle miteinander den Bach runtergehen. Wir können ja aufeinander einprügeln, während das Schifferl absäuft. Oder ich durchbreche den Sermon an Schuldzuweisungen und tue das, was ich meiner Meinung nach immer noch am besten kann: Empathisch und empfindlich sein. Um zumindest rund um mich zu kitten, was noch zu kitten ist.