Die österreichische Bundesregierung – allen voran Sebastian Kurz – wird nicht müde zu betonen, dass sie doch im System und nicht bei den Menschen sparen. Das hier soll keine Aufzählung von Beispielen werden, die diese Behauptung widerlegen. Davon gäb’s ja genug. Nein. Ich will ein Beispiel herausgreifen. Ein Projekt in meiner Heimatgemeinde Ebensee, das älteren und in ihrer Mobilität eingeschränkten Menschen ein Stück Selbstbestimmung zurückgibt und dem jetzt die Bundesmittel einfach ratzfatz gestrichen werden sollen. Ein Projekt, das Menschen, für die der freie Markt (scheinbar alles regelnde und ach so wunderbare heilige Kuh) nichts mehr übrig und schon gar keinen Job mehr hat, eine Perspektive gibt. Wo sie sich gebraucht und wertgeschätzt fühlen. Und wo sie gebraucht und wertgeschätzt werden. Ein Projekt mit einer eigentlich einfachen aber genialen Idee: Sieben Tage die Woche, von 7 bis 20 Uhr, sind die Fahrer*innen des BIS Mobil im Ort unterwegs, um die Kund*innen für kleines Geld zu Besorgungen, Freund*innen oder Arztterminen zu bringen. Man kennt einander, führt Gespräche, freut sich über das Dankeschön und den Kontakt.

10 000 Fahrten

Seit Jänner 2017 wurden mehr als 10 000 Fahrten geleistet. Man kennt einander mittlerweile. Pflegt einen herzlichen Umgang. Die in der flächenmäßig riesigen und gebietsmäßig extrem auseinandergezogenen Gemeinde mit zig Ortsteilen und über die Ortsgrenzen hinaus zackig herumbrausenden und schon von weitem erkennbaren BIS Mobile gehören zu Ebensee und Traunkirchen mittlerweile selbstverständlich dazu. Wie wichtig dieses Angebot für viele Menschen ist, zeigen die Kommentare auf der Petitionsseite zum Erhalt des Projekts. Die Sparmaßnahmen der Bundesregierung betreffen hier nicht einfach irgendwelche Strukturen. Sie treffen Menschen. Die Mitarbeiter*innen und die Kund*innen.

Rutschig

Ich mag ja den Spruch „Soll ich’s dir aufzeichnen?“ Da ich besser auf der Tastatur als mit dem Zeichenstift bin, schreib ich’s auf:
Nehmen wir einen Ortsteil, wo viele ältere Menschen leben: Die Finkerleiten. Eine Siedlung weit außerhalb des Ortszentrums. Wir wählen eine beliebige Hausnummer inmitten der Siedlung. Nicht am Rand, sondern schön in der Mitte. Gemeinsam treten wir aus der Haustür. Es ist kalt. Und es liegt locker ein Meter Schnee. Mindestens. Rutschig ist es. Vorsichtig gehen wir den Weg entlang zum Gartentürl. Die Straße ist etwas weniger rutschig als der Weg zum Haus. Immerhin. Wir ziehen uns die Haube tiefer ins Gesicht und stapfen los. Immer geradeaus.

Keine Abkürzung

Die „Bachtling“ – ein steiler Weg, der eine kleine Abkürzung wäre – ist keine Option. Zu eisig. Zu gefährlich. Wir gehen geradeaus. So etwa 500 Meter und biegen links um die Kurve. Immer der Nase  nach. Nach ein paar Minuten beginnt die Straße steiler zu werden. Bergab. Wir versuchen, so weit wie möglich am Rand zu gehen, was nicht einfach ist, weil eben so viel Schnee. Und kein Gehsteig. Und Autos, auf die man tunlichst nicht direkt treffen möchte.

Nach etwa 15 Minuten sind wir am Fuße des Siedlungshügels angelangt. Und gehen weiter gerade aus. Es zieht sich. Für weitere 15 Minuten. Dabei gehen wir relativ schnell. So schnell, wie es die Straßenverhältnisse zulassen. Es tut uns zum Glück nichts weh, wir sind nicht gebrechlich und brauchen keine Gehhilfe. Und wir kommen zu einer Kreuzung. Biegen links ab, queren die breite Straße. Ein Stückerl weiter vorne sehen wir einen kleinen Nahversorger. Doch wir müssen vorher zur Apotheke. Rezept einlösen. Gehen also an dem kleinen Geschäft vorbei. Die Lebensmittel kaufen wir beim Zurückgehen. Dann müssen wir nicht so weit schleppen.

120 Minuten

Es geht weiter dahin. Immer der Nase nach. Am Bahnhof vorbei. Da sehen wir sie! Die Apotheke. Gleich da. Nach einem Fußweg von insgesamt fünfzig Minuten stehen wir leicht angefroren vor der freundlichen Apothekerin, holen unsere Medikamente, wärmen uns noch etwas auf und treten den Weg zurück an. Beim Nahversorger legen wir einen Zwischenstopp ein. Gekauft wird nur das Nötigste. Muss ja alles im Rucksack den ganzen Weg bis nach Hause zurückgetragen werden.
In der Zwischenzeit hat es angefangen zu schneien. Seufzend und mit relativ wenig Gefühl in den Zehen – der Gang gleicht eher einem frustrierten Latschen als einem flotten Spazieren – stiefeln wir den ganzen Weg zurück. Was vorher bergab war, ist nun bergauf. Schnaufen. Da vorne ist endlich unser Gartentürl. Zwei Stunden haben wir gebraucht. Eigentlich eh ganz flott für die Strecke.

85 Jahre

Und jetzt stellen wir uns vor, wir sind 85 Jahre alt, haben kaputte Knie und brauchen an schlechten Tagen den Gehstock, um überhaupt die drei Stufen vor das Haus zu schaffen. Die Augen sind auch nicht mehr die Besten. Es ist mitten unter der Woche, die Kinder und Enkel wohnen eine Stunde entfernt und die Nachbarin, die wir ab und zu fragen, ob sie uns zum Einkaufen fahren kann (was uns immer etwas unangenehm ist) ist in der Arbeit. Jedes mal ein Taxi anzurufen ist finanziell einfach nicht drin. Zu Fuß? Unmöglich. Das Fahrradfahren ist uns schon vor ein paar Jahre zu gefährlich geworden. Und im Winter wär’s selbst für eine*n Dreißigjährige*n riskant.

Und jetzt stellen wir uns noch einmal die Frage, ob sich dieses Sparen noch immer so gut anfühlt. Ob es nicht doch die Menschen trifft. Das tut es nämlich.

Unterstützt den Erhalt des Projekts! 

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