Es geht mir grade wie so oft: Die Gedanken schwirren in meinem Kopf wie lose Enden von Wollresten. Die Farben passen nicht zusammen. Die Enden sind ausgefranst. Digital Detox funktioniert bei mir nicht. Hab’s versucht. Mittlerweile wehre ich mich nicht mehr. Greife auf, was niederstürzt auf mich in den sekündlichen Nachrichtenmeldungen. Über so viel Hass. Krieg. Gewalt. Missgunst. Dummheit. Nehme die Wollfäden auf und versuche, aus den Versatzstücken etwas zusammen zu klamüsern. Gedanken ordnen ist wie Stricken. Verliert man eine Masche und bemerkt es nicht, muss man alles wieder auftrennen.
Ich denke an Shah Marai. Einen Fotografen. Getötet bei einem Selbstmordattentat in Afghanistan. Ich denke an die shitty Hate Storms. Und die Flowerrains, die ihnen entgegengesetzt werden. An die Verlorenen da draußen. Die Kinder, in Armut geboren – später Erwachsene mit einem Armutserbe auf ihren Schultern und verantwortlich gemacht für ihre Armut. Leistung! Leistung verdammt! Leiste! LEISTET! Dann seid ihr nicht arm. Punkt. Du bist arbeitslos? Selber schuld. Sei nicht so faul. Hör auf, den ganzen Tag nichts zu tun. Geh AMS! Nimm alles in Kauf, um Hamsterradgefangene*r zu sein. Auf ihre Kinder scheißen dürfen nur Erwerbstätige. Der Erwerbsarbeit wegen. Flexibilisierung bis zum Erbrechen. Arbeitslosen gehören die Kinder entzogen. SOFORT! Ab ins Heim. Sagen die selbsternannten Leister den punzierten Minderleistern. Du bist alt? Selber schuld! Hör auf zu altern. Dann klappt’s auch mit dem Job am ersten Arbeitsmarkt. Trag Slimfit und lass dir einen Bart stehen. Das kommt irre gut.
Du bist krank? Hör auf mit dem Kranksein. Du bist Frau? Dann halt die Klappe und sei froh um die Freiheit, die wir meinen. Du bist depressiv? Beginn den Tag mit einem Lächeln und kauf Ratgeber, die dir erklären, dass es an deiner Einstellung liegt. Weil du bist selfmade Grinsekatze. Um 15,99 erklären wir dir, wie du erfolgreich wirst! Sagt die Facebook-Ad.
Am falschen Ende der Welt geboren? Wo Krieg und Armut sind? Du Glückliche*r! Dann wird der „Jude und Weltenlenker“ Soros seine Milliarden in dich und Gutmenschen-NGOs investieren, um umzuvolken und zu überfremden. In Lawinen und Wellen über den weißen Westen hereinzubrechen, um durch deine Geburtenrate auszulöschen. Hab‘ ich gehört. Da gibt’s angeblich stichhaltige Gerüchte dafür.
Brav. Schön fleißig mitschimpfen mit den blauen Verschwörungstheoretiker*innen, die schwer daran arbeiten, dass du der/die Nächste bist, der/die drankommt mit dem Feindbild-Sein. Wenn die Ausländer*innen, die BMS-Bezieher*innen und Arbeitslosen abgehakt sind, bist nämlich du dran mit gekürzt werden. Mit eingespart werden. Mit gehasst werden. Irgendwann wirst du nicht mehr der/die sein, der/die neidet. Du wirst jene*r sein, dem/der man die Sozialleistungen wegstreicht auf Putz und Stingel. Du wirst dann zum Minderleister. Du denkst, du seist davor gefeit, weil du dich als etwas Besseres siehst? Weil du mit der Österreichfahne wachelst und dir in blauen Bierzelten, untergehend im Dunst der Masse „Gleichgesinnter“ zur John-Otti-Band einen weggrölst? Weil du glaubst, dass Moral ein Schimpfwort und Menschenhass mehrheitsfähig sind? Weil du „unsere“ Frauen zu beschützen glaubst und gleichzeitig den „scheiss Emanzenweibern“ eine Massenvergewaltigung an den Hals wünschst?
Da soll man Verständnis dafür zeigen? Nein. Holzweg. Du überschreitest Grenzen, während du für deine Mitmenschen, die du so verachtest, welche hochziehen möchtest. Du ergehst dich mit Verve im schmierigsten Patriotismus, während du nicht merkst, wie du langsam die Statustreppe runterkugelst. Und argumentierst das mit Ängsten, die dir vorkonstruiert werden von Hater*innen und Sozialstaatabsäger*innen, von selbsternannten messianischen Heilsversprecher*innen und überwuzelten Rechtsextremen, die einen auf weichgespült machen.
Ich bin nicht hier, um zu belehren. Im Endeffekt muss jede*r selber draufkommen, wie lange der Ast noch hält, an dem er/sie selber sägt.
Beitragsbild (c) Jessica Spengler