Der Tag vor der Gedenkveranstaltung in Erinnerung an die Befreiung des Konzentrationslagers Ebensee ist für mich immer besonders. Ich bereite die Moderation vor. Beschäftige mich gewissenhaft mit den Menschen, die dort sprechen werden. Ihren Biographien. Dem, was sie tun. Formuliere Überleitungen. Versuche, den richtigen Ton zu treffen. Nicht salbungsvoll. Denn das hört sich einfach falsch an. Zu übertrieben. Aber auch nicht zu nüchtern und trocken. Das würde dem Anlass nicht gerecht. Ich versuche, ruhig zu werden. Konzentriert. Nicht hektisch. Ich denke an Ladi Zuk. Einen Überlebenden, der nach der Befreiung in Ebensee blieb. Wenige Jahre vor seinem Tod kehrte er nach Polen zurück. Ich wuchs mit ihm auf. Seine Geschichte hörte ich immer und immer wieder. Und jedes Mal trauerte ich.

Ich denke an ihn und all die anderen Überlebenden, die ich im Laufe der Jahre traf. Unter ihnen Andy Sternberg, der allen eine so große Herzlichkeit, Aufmerksamkeit und Liebe schenkt, denen er begegnet. Man spürt, dass er trotz seiner Erfahrungen den Glauben in die Menschen nicht verloren hat.

Ich denke an meine Eltern, die mir die Liebe zur Geschichte mitgaben. Und das Bewusstsein, wie notwendig, wie essentiell Erinnerung ist. Wie unumgänglich es ist, Ungerechtigkeit zu benennen und Verantwortung zu übernehmen. Nicht nur für das Gegenwärtige, sondern auch für das, was war. Verantwortung für die Dinge, die auch schon vor der eigenen Geburt passiert sind. Die schrecklichen Dinge. Die bösen Dinge. Die Dinge, die zwar andere verbrochen haben, die dennoch immer und immer wieder erzählt werden müssen. Die Geschichten der Opfer wie der Überlebenden, die – ginge es nach den Schlussstrichforder*innen – schon längst vergessen wären.

Ich denke nach. Ich lese. Und ich höre Michael Köhlmeier zu. Ich höre, was er beim parlamentarischen Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus sagt. Und ich bin so erschrocken. Im positiven Sinne erschrocken über den Mut dieses Schriftstellers, der auch schon 2015 in Ebensee sprach (hier ab Seite 13 nachzulesen). Und ich bin erleichtert über die klaren Worte, die so unaufgeregt, so ruhig aus seinem Mund kommen. Er sagt:

„Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem Schritt, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien, für eine große Empörung. Erst wird gesagt, dann wird getan. Willst du es dir des lieben Friedens Willen widerspruchslos gefallen lassen, wenn ein Innenminister wieder davon spricht, dass Menschen “konzentriert gehalten” werden sollen, willst du feige die Zähne zusammenbeißen wo gar keine Veranlassung zur Feigheit besteht? Wer kann dir in deinem Land in deiner Zeit schon etwas tun, wenn du die Wahrheit sagst? Wenn diese Partei, die Teil unserer Regierung ist, heute dazu aufruft, dass Juden in unserem Land vor Antisemitismus von manchen Muslime, die zu uns kommen geschützt werden müssen, so wäre das Recht und richtig, allein ich glaube den Aufrufen nicht. Anti-Islamismus soll mit Philosemitismus begründet werden, das ist genauso verlogen wie ehedem die neokreuzfuchtelnde Liebe zum Christentum.
Sündenböcke braucht das Land.
Braucht unser Land wirklich Sündenböcke?
Wer traut uns solche moralische Verkommenheit zu?
Kann man in einen nahestehenden Gazette schreiben, die Häftlinge aus Mauthausen sein eine Landplage gewesen und zugleich zur Verteidigern und Beschützern der Juden aufschwingen? Man kann, ja man kann. Mich bestürzt das eine das andere glaube ich nicht. Und wer das glaubt ist ein Idiot oder tut so als ob, dann ist ein Zyniker, und beides möchte ich nicht sein.“

Im Saal ist es völlig still, während Köhlmeier spricht. Auf den Gesichtern von Strache und Gudenus ist abzulesen, wie sehr der Zorn in ihnen arbeitet. Und die Diskreditierung Köhlmeiers lässt nicht lange auf sich warten. In üblicher Weise. Und doch um vieles perfider. Die FPÖ schiebt nämlich dieses Mal die Opfer der Shoa vor, unterstellt Köhlmeier die Verharmlosung des Holocaust. In seinem Facebookposting bezeichnet er jene, die Köhlmeiers Aussagen unterstützen als „Claqueure“ und wirft dem Schriftsteller den „Missbrauch“ des Anlasses vor.

Nun frage ich: Was, wenn nicht Politisches und Mahnendes soll bei solchen Anlässen gesagt werden? Zu mahnen vor der Gefährlichkeit der allzu präsenten Sündenbockkonstruktion, derer sich die Regierung bedient ist geradezu Auftrag an jede*n, der Erinnerungspolitik ernst nimmt. Die Absicht hinter der Strategie der FPÖ ist nur allzu deutlich: Die Desavouierung Intellektueller und mahnender Stimmen, die sich durch die Vernebelungstaktik und das Vorschieben israelischer Politiker*innen – dem von Köhlmeier angesprochenen Philosemitismus – nicht ablenken lassen. Die FPÖ sieht Erinnerungspolitik als Vehikel, um parteipolitische Propaganda zu lancieren. Sie sieht sie nicht als gesamtgesellschaftlichen Auftrag im Sinne der Opfer und der Überlebenden, sondern stilisiert sich höchstselbst zum Verfolgten und zum Opfer. Macht Überlebendenverbände wie das Mauthausen Komitee und ihre Fürsprecher*innen zu Täter*innen und die FPÖ zum Opfer.

Welche Form des Gedenkens sich die FPÖ wünscht, hat man lange Jahre beim „Heldengedenken“ des Wiener Korporationsrings, bei dem 2006 auch Strache sprach, gesehen. Wo völlig undifferenziert aller „Opfer beider Weltkriege“ gedacht wurde. Vor allem der Soldaten. Und der Täter*innen. Wo von „alliiertem Terror“ gesprochen wurde und vom Kriegsende als „Hölle für die Deutschen“. Das Ende des Krieges wurde betrauert. Wo Gegendemonstrant*innen als „Faschisten“ bezeichnet wurden. Das Totengedenken gibt es nicht mehr. Stattdessen findet jedes Jahr am 8. Mai ein „Fest der Freude“ statt. Erinnerungspolitik wurde erfolgreich umgedeutet, Burschenschaften und „Heldengedenken“ verdrängt.

Stellt man diese beiden Formen der Erinnerungspolitik nebeneinander, so wird schnell klar, warum die FPÖ Veranstaltungen wie den parlamentarischen Gedenktag ablehnt. Weil sie nicht die Handhabe darüber bekommen, unter dem Titel eines diffusen „Totengedenkens“ Täter*innen und Opfer in einen Topf zu werfen. Weil sie nicht die Möglichkeit haben, die komplette Hegemonie über eine Erinnerungspolitik zu erhalten, die den Opfermythos verbannt und die Verantwortung Österreichs an den NS-Verbrechen klar festmacht. Die Aufarbeitung passiert ebenso wie die Recherchen über die Verstrickungen der FPÖ ins rechtsextreme und neonazistische Milieu. Und Menschen wie Michael Köhlmeier werden immer und immer wieder mahnen. Dass das die FPÖ immer stören wird, ist naheliegend. Solange sie nicht jeden und jede einzelne von uns weggesperrt, gefesselt und geknebelt haben, wird es immer jemanden geben, der aufsteht und sich wehrt.

Auch das Schweigen eines Sebastian Kurz und einer ÖVP wird an all dem nichts ändern. Es macht es nur schlimmer. Denn wer schweigt, stimmt zu.

Beitragsbild Befreiungsfeier Ebensee 2015 | (c) Kathrin Quatember

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