Kultur ist ideologisches Schlachtfeld. Immer gewesen. Gleichzeitig ist die Vorstellung, Kultur solle sich vornehm zurückhalten, bitte apolitisch und hauptsächlich „schön“ sein nur allzu präsent. Kultur als verwertbares Konsumgut. Jederzeit abrufbar. Oder eben nicht, wenn sie nicht interessiert (geht das überhaupt?). Doch ist Kultur die von der Politik getrennte geistige Sphäre? Ist sie kollektiv oder individuell? Braucht sie die Vielen oder reicht ihr der/die Einzelne? Teilen wir überhaupt eine mehrheitliche Auffassung von Kultur und ist das Dominierende automatisch das Richtige? Wer die materielle Macht hat, hat auch die kulturelle – so gemeinhin die Beobachtung. Geht es schlicht um einen Kampf um die Institutionen? Hat der, der diesen Kampf gewinnt auch den Kampf um die Köpfe gewonnen?

Trennungen & Tauziehen

Wir sehen, es ist alles gehörig kompliziert. „Kultur“ als Mischung von einerseits elitären, andererseits traditionell-volksbewusst konnotierten Veranstaltungsformaten zu betrachten, kommt vermutlich dem, was in hohem Maße unbewusst als Kultur in unserer aktuellen Öffentlichkeit begriffen wird, noch am nächsten. Kulturproduzent*in und Kulturkonsument*in erscheinen klar getrennt. Unkritisch, passiv, unpolitisch und doch hochpolitisch. Denn hinter dem vermeintlich Unpolitischen steckt nicht selten der Versuch, Wertungen anzustellen. Politisches Mehrheitsdenken (wer die Mehrheit hinter sich hat, hat recht) wird übertragen auf Kulturverständnis im engsten Sinne – dem konsumptiven. Mehrheit produziert ökonomischen Mehr-Wert. Zugegeben: Kein besonders progressiver Zugang.  In Österreich passiert seit geraumer Zeit ein Tauziehen um die kulturelle Hegemonie. Die Macht über Ideologie, Staat, Politik- und Zivilgesellschaft. Und plötzlich ist das Unpolitische hoch politisch. Bezeichnet als „konservative Revolution“ und die „Überwindung der Alt-68er“ haben sich konservative, bisweilen autoritäre Akteur*innen und hipper rechtsextremer Agitprop dem Kulturwandel in ihrem Sinn verschrieben. Ein „Back to the roots“, das je nachdem daherkommt als freundliches, lederbehostes „Hodi odi ohh di ho di eh“ oder eben als „Verteidigung abendländisch-christlicher Werte“, die es hochzuhalten gelte. 

Patriarchat – Armut – Klassenkampf

Im Kern kommen wir zu dem, was Kultur sein kann und auch ist: Zutiefst politisch. Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik, Sozialpolitik und die Kritik daran. Wenn etwa Nicole Schöndorfer in der aktuelle Ausgabe der Kupf-Zeitung schreibt

„Wenn eine Einzelperson über viel Macht verfügt, schafft das einen Nährboden für Machtmissbrauch, der sich eben häufig in den im Laufe der #metoo-Bewegung breit diskutierten Abhängigkeitsverhältnissen zwischen Männern als Arbeitgebern und Frauen als Arbeitnehmerinnen manifestiert. Wie schafft es die Freie Theaterszene, diesen vorherrschenden patriarchalen Mechanismen größtenteils – auch sie ist nicht vor Übergriffen und Missbrauch gefeit – vorzubeugen?“

dann ist Kultur Geschlechterpolitik und die Frage nach Hierarchien.  Wenn Alenka Maly schreibt

„In den Siebziger Jahren öffnete sich kurz ein Fenster, in dem proletarisches Bewusstsein und Kunst in der Siedlung leidenschaftlich zusammen gefunden haben. Da gab es einen Liedermacher, einen Maler und einen Dichter, deren Familien aber mit dem Gehalt allein der Ehefrauen auskommen mussten. Das Fenster ist bald wieder zu gegangen, die Künstler sind für immer weggezogen. Zu dieser Zeit waren dort alle noch davon überzeugt, dass ihre Partei die SPÖ war. Wenn es Feinde gab, waren es die da oben, wer und wo die genau waren, ist nie herausgekommen, reich waren sie jedenfalls. Nach unten haben meine NachbarInnen nie getreten, rückblickend aber nur deshalb, weil es dort einfach niemanden gab, an dem sie ihren Zorn hätten auslassen können. Heute sind die noch Unglücklicheren am eigenen Unglück Schuld. Meine ehemaligen Nachbarskinder sind jetzt Userinnen und haben alle ihre Herzerl auf der Seite von HC. Kunst kommt dort nicht vor.“

dann ist Kultur Sozialpolitik und ja: auch Klassenkampf. Wenn Inez Ardelt Biographien von Künstler*innen schildert, die von der Bühne in die Armut rutschen (Kupf-Zeitung auf den Seiten 14 und 15), dann ist Kultur auch Existenzsicherung. Unbequem für jene, die das Mäzenatentum als Lösung oder gar „Entschuldigung“ für eine über Jahre wenn nicht Jahrzehnte in ihrer Förderpolitik schwächelnde und sich ihrer Verantwortung entziehende öffentliche Hand ansehen. Das Bild des/der „armen Künstler*in“, der/die ob der Hingabe für sein/ihr Schaffen die Brotlosigkeit in Kauf nimmt, ist vielleicht romantisch. Mehr auch nicht. Kultur ist Arbeit. Nicht aus Selbstzweck oder dafür, mit dem Kulturminister vielleicht einmal auf einem Foto drauf sein zu dürfen, um dann schnell wieder in den Alltag und die Sorgen um Mietrückstand und kaputte Gastherme abgeschoben zu werden.  Hier müssen wir uns fragen, ob es nur den „rich kids“ vorbehalten sein darf, Kultur- und Kunstarbeiter*in zu sein? Oder jenen, die das Glück eines Sponsorings erfahren. Entgegen mancher Erzählungen schafft das nämlich eben nicht künstlerischen Freiraum. Man bewegt sich zwischen dem, was der Sponsor will und dem, was sich verkaufen lässt, verlässt man sich auf dieses Konzept der Kulturförderung. Den Brosamen, die die Reichen mit ihren Einflusssphären zur Verfügung stellen oder eben nicht, während sich die Öffentlichkeit vor den Fragen nach Umverteilung von oben nach unten weiterhin drücken kann.  Man verstehe mich nicht falsch: Mit „öffentlicher Hand“ meine ich nicht parteiliche Einflussnahme. Es muss Common Sense sein, unabhängig vom jeweils regierenden Farbenspiel Kulturarbeiter*innen und denen, die partizipieren wollen, Räume – im tatsächlichen wie übertragenen Sinn – und existenzielle Sicherheit zu bieten. Und Kultur als inkludierend und nicht exklusiv zu begreifen. Als progressive und zutiefst demokratische Gestaltung gesellschaftlicher Räume.

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