Die Erzählung vom „besorgten Bürger“ oder „Wir sind das Volk“ Ein Narrativ, das – sei es in Kommentaren oder als Rechtfertigung – gerne verwendet wird. Man muss sich hier die Frage stellen, warum Besorgnis einhergehen muss mit Übergriffen auf Journalist*innen, der Kooperation mit Hooligans und rassistischen Äußerungen? Ist es nicht vielmehr der Wunsch nach Schuldigkeit der anderen und Feindbildern? Ein diffuser Zorn, der rausgebrüllt werden will und der so rasend ist, dass Hitlergrüße akzeptiert werden und für den die Pressefreiheit einfach nur lästig ist? Volk ist, wer zornig ist? Wer diesen Zorn und seine Folgen für andere ablehnt, kann und darf nicht Volk sein. Wer besorgt ist ob der sich Bahn brechenden Ablehnung einer liberalen und diversen Gesellschaft, hat keinen Platz in dieser völkischen Idee, die sich primär dadurch definiert, was und wen sie ablehnt. Besorgnis hat Grenzen und ist falsch verstanden, wenn sie als Rechtfertigung für Hitlergrüße, Rassismus und Gewalt herhalten muss. Die eigene Besorgnis ist keine Ausrede dafür, anderen Menschen Angst einjagen zu dürfen. Sie als Maßstab für politische Entscheidungen herzunehmen signalisiert, dass Angstmache immer wieder funktionieren wird. Ist ein Feindbild weg, kommt schnell das nächste. Und zu fordern, man müsse doch mit denen reden, die ihren Hass pflegen, ist eine Zumutung.

Die Erzählung „Die Beschränkung des Asylrechts beseitigt Rassismus“

Versetzen wir uns 27 Jahre in die Vergangenheit. In Rostock Lichtenhagen wurden im August 1992  Molotowcocktails auf ein Wohnheim geschleudert, während Anrainer*innen applaudierten. Nur dem Zufall ist es zu verdanken, dass es keine Toten gab. Die Folge der Angriffe: Die Verknüpfung mit der Asylrechtsdebatte und die Verschärfung des Asylrechts. Der Rassismus feierte damit einen Erfolg. Ist er deswegen verschwunden? Mitnichten. Im Gegenteil. Es wurde ein Signal gesetzt, dass Gewalt ein legitimes Mittel ist, um eine politische Agenda durchzusetzen. Die rechtsextremen Szenen wurden verharmlost, antidemokratische Tendenzen kleingeredet und zu wenig beachtet. Zivilgesellschaftliches Engagement und Antirassismusarbeit wurden weder gestärkt noch in ihrer Wichtigkeit erkannt. Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bekam recht.

Die Rolle der diffusen Mitte

Was ist die Mitte denn nun eigentlich? Sie ist nicht wirklich festzumachen. Und im Wesentlichen eine Konstruktion, um sich nicht festlegen zu müssen. Doch selten ist die Mitte dieser Tage auf der Seite der Marginalisierten und Diskriminierten. Sie lebt davon, aus der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (ob gegen People of Colour, Armutsbetroffene, Menschen mit Behinderung, Frauen, LGBTIQ*, Flüchtlingen, Migrant*innen, „Nicht-Leistungsfähige“, Sozialleistungsbezieher*innen) vermeintlich „vernünftige“ Forderungen zu formen und soziale wie ökonomische Schieflagen zu ignorieren. Auf Grundlage eines angeblichen „Volkswillens“, der dort zu finden ist, wo am lautesten gebrüllt wird. Die vermeintliche Mitte ergeht sich in Schockbekundungen in Anbetracht der Ereignisse in Chemnitz, ist stolz auf ihr „ni droite ni gauche“, findet nichts weiter an der Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche und befeuert die Schieflagen damit noch weiter, um dann prompt die Marginalisierten für die Folgen dieser Schieflagen verantwortlich zu machen. Diese Mitte, die denkt, dass allein Gedenkstättenbesuche und „Nie wieder“-Tweets die Bevölkerung immun machen gegen Rassismen und antidemokratisches Denken, zugleich diskriminierende Politik umsetzt und – manchmal subtil, manchmal weniger subtil – mit dem Finger auf Sündenböcke zeigt. Die Mitte, die der Besorgnis jener, die mit Hooligans, Identitären und einer „Wir-werden-sie-jagen“-AfD mehr Gehör schenkt als den Menschen, die sich in ihrer täglichen Arbeit und durch ihr Engagment um das Schicksal der Marginalisierten und der so zerbrechlichen demokratischen und diversen Gesellschaft bemühen und die ab und an beim Wirten sitzen und sich darüber Sorgen machen, wo das noch hinführen soll.

Titelbild: Sonnenblumenhaus Rostock Lichtenhagen (c) mc005 CC-Lizenz

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