Das nicht rechtskräftige Urteil gegen Sigi Maurer hat mich – und ich denke, da geht es vielen so – fundamental erschüttert. Mit einem Schlag prasselten all die miesen Erfahrungen, die Beleidigungen, die Übergriffe und Benachteiligungen, die ich im Laufe meines eigenen Lebens erfahren hab‘, auf mich ein. Und ich hab‘ drüber nachgedacht, wie ich in den jeweiligen Situationen reagiert habe. Ich blieb still. Um es nicht noch „schlimmer“ zu machen. Um meinen Job nicht zu verlieren. Um denen, die mich in aller Öffentlichkeit schmähen, nicht noch mehr Reichweite zu geben. Um die Abneigung mir gegenüber nicht noch zu verstärken. Eines haben all die Erfahrungen übrigens gemeinsam: Sie wurden und werden von Männern verantwortet.
Und ich muss ehrlich sagen: Es reicht! Es ist genug! Ich bin nicht mehr gewillt, im Stillen zu dulden und jedes einzelne Mal heulend zu Hause zu sitzen und darauf zu hoffen, dass mich mein privates Umfeld wieder aufrichtet. Es ist nicht einzusehen, dass Verursacher so weitermachen können, während mich Schlafstörungen quälen, spontane Panikattacken mir mein Leben sukzessive auffressen und ich phasenweise Angst hatte, noch aus dem Haus zu gehen. Ich habe es satt, ständig um die Aufmerksamkeit von Männern zu kämpfen, um beruflich weiterzukommen. Ich könnte kotzen, wenn ständig, immer und immer wieder mir Typen ungefragt die Welt erklären oder mich unter Druck setzen, um das zu tun, was nur einem einzigen nutzt: Ihnen selbst. Die sich dann hinstellen und meine Arbeit als die Ihre verkaufen. Wo es dann heißt: „Wir“ haben das geschafft. „Wir“ haben das geleistet. Nix wir. Ich. Korrigiert frau dann, ist Mann pikiert, beleidigt und fühlt sich in seinem Mann-Sein angegriffen. Und macht frau das Leben noch schwerer.
Wer jetzt daherkommt und reflexartig „Not all men“ plärrt, versteht das fundamentalste Problem nicht. Wir leben in einem Patriarchat. Was für Männer selbstverständlich ist – nämlich „Ich, ich, ich“ zu sagen und ganz selbstverständlich Jobs, Leistungen und Rechte einzufordern und ohne viel Kampf auch zu bekommen – ist für Frauen vieles, aber eins genau nicht: Selbstverständlich. Schnell wird frau zum Feminazi, zur Schlampe, zur karrieregeilen Rabenmutter, zur egoistischen Furie oder frustrierten Zicke, der man im Vorbeigehen so ganz nebenbei auch noch ihre Kompetenz abspricht. Lässt frau sich dadurch trotzdem nicht beirren, wird der Hass ausgepackt: „weghängen“ soll frau sich, frau soll sich „in den Arsch ficken“ lassen, frau wird als „tittenlose Schabracke“ bezeichnet und soll den „Mund nicht aufreißen (außer zum Blasen)“. All das passiert. Es sind keine Einzelfälle. Es ist Alltag. In Österreich im Jahr 2018.
Wenn ihr dieses „not all men“ wirklich nicht nur als reflexhafte Antwort versteht, überlegt euch, was ihr – ihr Männer – dazu beitragt, „not all men“ sagen zu dürfen? Habt ihr schon einmal in euren Unternehmen nachgefragt, ob Frauen gleich viel verdienen wie ihr? Habt ihr protestiert, wenn eine Frau, die besser qualifiziert war, einen Job nicht bekommen hat – aus fadenscheinigsten Gründen? Habt ihr als Personalverantwortliche vielleicht nicht auch schon Bewerbungen von Frauen aussortiert, weil sie im „falschen“ Alter waren (zu alt, zu jung, im „oh Himmel, die wird uns sicher schwanger“-Alter)? Habt ihr Ungerechtigkeiten in eurem Umfeld mitbekommen und seid dagegen angegangen? Habt ihr Sexismus miterlebt und euch solidarisch mit der Betroffenen gezeigt? Habt ihr Übergriffe bemerkt und dagegen etwas getan? Habt ihr euch selber schon einmal zurückgenommen, um einer Frau eine Chance zu eröffnen?
Nein?
Dann seid ruhig mit eurem „not all men“.
Nun frage ich: Wenn ihr Frauen auffordert, „objektiv“ zu sein, die „Emotionen“ stecken zu lassen (der Einserschmäh, Frauen als hysterisch und überemotional hinzustellen) und halt einfach eine Anzeige zu machen – habt ihr euch nur eine verdammte Millisekunde darüber Gedanken gemacht, wie das bei Frauen ankommt? Und was das mit uns macht? Nicht wir müssen lernen, damit umzugehen. Männer müssen aufhören zu glauben, dass sie tun und lassen können, was sie wollen. Der Richterspruch im Fall Maurer zeigt, dass es reicht, Mann zu sein und die Verantwortung von sich zu weisen, um durchzukommen. Obwohl selbst der Richter dem Kläger seine Story nicht glaubte. Was bleibt als Botschaft an uns Frauen? Liebe Frauen, es ist ohnehin sinnlos, euch zu wehren. Niemand hat vor, etwas zu ändern. Weder legistisch noch gesellschaftlich. Kommt ja nicht auf die Idee, euch Öffentlichkeit zu verschaffen, ohne beim Täter nachzufragen, ob ihr das auch dürft. Macht doch einfach eine Anzeige, die zwar genau gar nix bringt, aber das ist auch nicht der Sinn dieser „guten Ratschläge“ – dass sie etwas bringen. Der Sinn dieser Ratschläge ist, die Selbstzweifel bei Frauen dauerhaft zu verankern und euch als Männern ein Überlegenheitsgefühl zu verschaffen. Übrig bleibt für uns: „Was hab‘ ich falsch gemacht? Was hätte ich anders machen können?“ anstatt „Was hat der Täter da eigentlich angerichtet?“
Von Frauen zu fordern, verständnisvoll und „objektiv“ zu sein, während die Schieflage bei Fragen der Macht, Gleichstellung und Teilhabe weiter bestehen bleibt und auch noch fest betoniert wird, ist im Sinne des Patriarchats. Uns zu erklären, was wir zu sagen, wie wir zu denken und auszusehen haben, wie wir dreinzuschauen („Wenn du lachst, bist du viel hübscher“) oder welche Frisuren wir zu tragen haben („Igitt. Kurze Haare bei Frauen“) verursacht bei uns nicht unbedingt das Bedürfnis nach Objektivität. Natürlich. Ihr wollt weiter in eurer unangetasteten Bequemlichkeit leben. Unbedroht von kompetenten Frauen, die euch bei den Bildungsabschlüssen überholt haben und trotzdem ständig ferngehalten werden vom Machteinfluss. Die als Alleinerziehende Tag für Tag zu kämpfen haben und schön im „struggle for existence“ gehalten werden. Die brav in ihren Selbstzweifeln festhängen anstatt sich zu holen, was längst überfällig ist.
Der Zorn über all das ist keine „hysterische Phase“, wie es manche gerne darstellen. Es ist der Beginn des Endes einer männlichen Machtfülle, aus der die selbstverständliche Legitimation gezogen wird, Mädchen niederzudrücken und Frauen wie Müll zu behandeln.
Wir sehen die Strukturen. Und wir kämpfen dagegen an. Stück für Stück für Stück. Fürchtet euch. Fürchtet euch ganz fürchterlich.
Titelbild by Christopher Dombres