Eine ehemalige Lebensgefährtin von Roman Rafreider macht eine Anzeige gegen ihn. Es geht um Vorwürfe der gefährlichen Drohung und Körperverletzung. Die Unschuldsvermutung gilt. Period.
An dieser Stelle geht es nicht um den Fall an sich. Ebenso wenig wie um eine Vorverurteilung. Es geht um die Berichterstattung, die Frage, welche Verantwortung in der Hand der Journalist*innen liegt und unsere eigene Verantwortung im Umgang damit. Es sind Beobachtungen und Widersprüche, die an dieser Stelle geäußert werden und es geht um die Frage, wie wir mit der Berichterstattung rund um das Thema häusliche Gewalt umgehen können. Als Mediennutzer*innen, deren Verantwortung auch und vor allem die Reflexion darüber ist, wie wir Dinge wahrnehmen. Ich möchte hier Fragen stellen, die mir zu wenig beachtet erscheinen.

Es begann mit der Nachricht, Rafreider sei angezeigt worden. Bilder von Nachrichten und Chatprotokollen tauchten im Boulevard auf. Das Polizeiprotokoll der Aussage der Frau dürfte – so die Angaben der Krone – direkt an das Medium gespielt worden sein. Sowohl auf der Online-Plattform von „Österreich“ (unter der Rubrik „Stars“) als auch bei „News“ tauchen Fotos der Frau auf. Verpixelt zwar, aber bei weitem nicht so unkenntlich gemacht, dass ein Wiedererkennen unmöglich wäre. Der Wettlauf darum, wer die nächste Newsmeldung mit noch mehr Details rausballert, hat an Fahrt aufgenommen. „Österreich“ legt mit der Veröffentlichung weiterer Chatnachrichten noch eins drauf. 

Rafreider wollte sich laut Meldungen nicht zu den Vorwürfen äußern und tat es jetzt doch. In zwei großen Interviews im Magazin WOMAN und der Tageszeitung KURIER. Und nun passiert etwas, das grundsätzlich nicht neu ist: Eine Darstellung beginnt den Diskurs zu dominieren. Wir sind an dem Punkt, wo eine Erzählung – nämlich jene der Frau – in den Hintergrund rückt, während bereits die genannten verpixelten Fotos in der Öffentlichkeit kursieren. Ebenso wie Aussagen darüber, dass die Frau längere Zeit eine Psychotherapeutin aufgesucht hat oder der Interview-Passus „Da ging es auch um die Kommunikation mit traumatisierten Menschen. Um Selbstverletzungen und widersprüchliches Verhalten in Beziehungen.“ Es werden vermeintliche Details aus der Beziehung öffentlich gemacht, während die Frau sich gegen eine Öffentlichkeit entschieden hat. Paradox – denn die Öffentlichkeit wurde gegen ihren Willen trotzdem geschaffen. Dadurch wird Druck aufgebaut. Die Erzählung, die Frau sei psychisch labil und – so der entstehende Eindruck – wenig glaubwürdig ist jene, die bei den Rezipient*innen (also bei uns) hängenbleibt. 

Einige Punkte hat ein Twitter-User in einem Thread angesprochen:

https://twitter.com/Rosinnjo/status/1050836276205764608

Im Interview mit dem KURIER ist außerdem die Rede von einer „problematischen Vergangenheit“ der Frau:
„Ich habe mich in eine Frau verliebt, wo ich im Laufe der Beziehung entdeckt habe – durchaus mit ihrer Hilfe– dass sie eine problematische Vergangenheit hat.“
Und weiter
„In einer Boulevardzeitung waren Messenger-Nachrichten von Ihnen, wo Sie Ihrer Ex-Freundin drohen, dass Sie sie fertig machen könnten. So etwas sollte in einer Beziehung, auch wenn sie gescheitert ist, auch nicht auf der Tagesordnung stehen… 
Ja, das stimmt. Diese SMS ist furchtbar, herablassend, arrogant und durch nichts zu entschuldigen. Ich habe diese Nachricht, so nennt es auch die Psychologie, in einem absoluten Ausnahmezustand geschrieben. In dieser Nacht, wo ich die Nachricht geschrieben habe, erfuhr ich etwas, das mir den Boden unter den Füße weggezogen hat.

Was war das?
Ich habe von zwei unterschiedlichen Richtungen, von ihrem und meinem Umfeld gehört, dass sie wieder etwas tut, was sie mir versprochen hat, nie wieder zu tun. Das ist etwas, wovon sie mir leider viel zu spät in der Beziehung erzählt und bis dahin verheimlicht hat.“

Zwar kommt im Interview dann nicht mehr heraus, worum es dabei ging. Was aber irrelevant ist, da die Verantwortung aus Sicht des/der Rezipient*in an die Frau bereits externalisiert erscheint. In weiterer Folge wird nach Details aus der Therapie gefragt, die Rafreider auch beantwortet.

Besonders bemerkenswert ist jener Interviewteil:
Was war das überhaupt für eine Beziehung? Offenbar auch eine sehr emotionale?
Es war eine sehr extreme Beziehung und zwar eine sehr leidenschaftliche. Mit ganz viel Liebe, aber auch mit tiefen Untiefen. Sie hat mir mit einem Lächeln auf den Lippen am Anfang prophezeit, dass die Beziehung vielleicht etwas anderes werden könnte mit uns. Aber das war auch eine Faszination. Sie ist ein wahnsinnig lieber Mensch und macht einen großartigen Job als diplomierte Krankenpflegerin. Sie gibt sich förmlich für Menschen auf. Das hat mich immer sehr beeindruckt. Ich bin ja eher der rationale Mensch. Dieser Freigeist meiner Ex-Freundin hat mich fasziniert.“

Kurz davor meinte Rafreider, er sei aus der „Bahn geworfen worden“, wenige Zeilen darunter sieht er sich als rational. Die Emotionalität erscheint wiederum der Frau zugeschrieben. 

Im letzten Absatz des KURIER-Interviews heißt es:
„Das ist ja schon die zweite Beziehung von Ihnen, die sehr medienöffentlich beendet wird. Ziehen Sie vielleicht einen gewissen Typ Frau an, der sich mit dem Akzeptieren von dem Beziehungs-Aus schwer tut?
(denkt nach). Hhhm. Gute Frage. Darüber muss ich auch nachdenken. Aber ich lebe in der großen Hoffnung, dass das nur ein Zufall ist.“

Nun ist hier zu fragen: Welcher „Typ Frau“ ist denn hier nun genau gemeint? Ob sich die Frau – wie hier geäußert – „mit dem Akzeptieren von dem Beziehungs-Aus schwer tut“, ist eine Zuschreibung, die davon ausgeht, dass es diesen Typ gäbe. Der Umgang mit Beziehungen und deren Enden ist aber nun einmal etwas zutiefst Persönliches und Individuelles, was wohl kaum eine Typfrage ist.

Als Rezipient*in ist es umso wichtiger, sich darüber klar zu sein, dass Interviews dieser Art subjektive Erzählungen sind. Dadurch, dass sich im Konkreten die Frau dazu (völlig zurecht) entschieden hat, sich nicht zu äußern, entsteht allerdings in der Öffentlichkeit eine Schieflage der Narrative, die diskursdominierend wird. Wie groß und verantwortungsvoll die Rolle nicht nur des Boulevard sondern auch der beteiligten Qualitätsmedien ist, zeigt sich nicht erst in dieser Causa. 

Das Salzburger Gewaltschutzzentrum hat ein Dossier zum Thema „mediale Berichterstattung zu Gewalt in der Privatsphäre“ herausgegeben. Dort rekurriert man auf das „spanische Modell über die Berichterstattung zu geschlechterspezifischer Gewalt und häuslicher Gewalt“. In der Folge einige Auszüge:

  • Bilder von Frauen vermeiden, die deren Würde verletzen
    Die Kulturindustrie verbreitet ein Frauenbild, das deren Würde angreift (Nebenfigur, Objekt, Unterworfene). Versuchen Sie ihr Möglichstes, um diese Stereotype zu vermeiden.
  • Misshandlungen gegen Frauen verstoßen gegen die Menschenrechte
    Misshandlungen sind ein Delikt, ein soziales Problem, das uns alle etwas angeht. Misshandlungen sind weder eine Privatsache, häusliche
    Angelegenheit noch ein zufälliges oder unglückliches Ereignis.
  • Nicht Sensationslust mit sozialem Interesse verwechseln
    Ein Misshandlungsopfer kann ein guter Zeuge sein, aber niemals ein
    Werbeaufhänger. Das Medienspektakel ist kein angemessenes Format für diese Art von Gewalt.
  • Gewalt gegen Frauen ist weder ein Ereignis, noch eine herkömmliche Nachricht …
    … oder Eilnachricht: Wirklich dringend ist es, das Problem zu lösen.
    Recherchieren Sie, lassen Sie Zeit zur Reflexion und setzen Sie die Nachricht in den Kontext, den man unter „Gewalt gegen Frauen“ kennt. Fügen Sie dieselbe nicht in die Abfolge der Ereignisse oder in die schwarze Chronik ein.
  • Nicht alle Nachrichtenquellen sind zuverlässig
    Sprechen Sie mit allen, wählen Sie jedoch nach Kriterien aus. Nicht alle Menschen sind in der Lage, über alles zu sprechen. Es gibt
    Zeugenaussagen, die etwas beitragen und andere, die verwirren. Die
    Vorgeschichten über Unstimmigkeiten oder das gute Verhältnis in der
    Partnerschaft verleiten zum Beispiel dazu, die Gewalt als logische
    Konsequenz einer Situation der Zerrüttung oder im umgekehrten Fall eines „einzelnen Ausbruches“ zu erklären.
  • Nützliche Informationen geben, sich im Vorfeld beraten lassen
    Ein Fall einer Misshandlung mit Todesfolge ist eine Nachricht, aber auch die mangelhaften juristischen oder politischen Handlungen, die beispielhaften Strafen, die Opfer, die es geschafft haben, ihr Leben wieder herzustellen und die einen Ausweg aufzeigen. Zudem helfen die Expertenmeinungen dabei, das Problem angemessen einzuordnen. Es ist ratsam, die Anklage nicht direkt über die Medien zu erheben, sondern im Vorfeld Informationen einzuholen. Es bestehen Gefahren, die vermeidbar sind.
  • Image ist nicht alles, schaffen Sie keinen Sensationsjournalismus
    Das Image muss die Würde der Person respektieren. Ästhetische Mittel und die übliche Erzählkunst der Reportagen von Ereignissen dürfen bei der Erstellung von Nachrichten über Gewalt gegen Frauen nicht eingesetzt werden. Die Kriminalisierung der Opfer muss vermieden werden, wenn Verschleierungsmittel eingesetzt werden. Die Rekonstruktion der Fakten, die in schlüpfrigen Details oder Großaufnahmen von blauen oder weinenden Gesichtern münden, hilft nicht dabei, das Problem zu identifizieren, sondern ruft einzig und allein eine morbide Faszination oder Mitleid mit dem Opfer hervor.
  • Stereotype und Klischees gehen leichtfertig mit dem Thema um und ziehen es ins Banale
    Achten Sie auf Adjektive, Satzbau und Klischees: Sie führen eine
    unkontrollierbare Dosis von Frivolität ein. Ausdrücke wie „eifersüchtig“, „Trinker“ oder „normale Person“ oder Sätze wie „ging mit Freundinnen aus“ oder „hatte eine Geliebte“ lenken die Aufmerksamkeit von den wahren Ursachen der Tragödie ab und rufen ein falsches Leseverstehen hervor.

Und nun zu unserer eigenen Verantwortung. Sensationslust ist kein Grund dafür, Schieflagen zu missachten. Häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen ist nach wie vor ein großes gesellschaftliches Problem. Die Hürde, überhaupt eine Anzeige zu machen, ist für Frauen hoch. Ebenso die Dunkelziffer. Eine reflexartige Bagetellisierung hilft weder bei der Sensibilisierungsarbeit noch bei der Präventions- und Interventionsarbeit mit Opfern und Tätern. Zu fordern, die Frau solle in der Öffentlichkeit Stellung beziehen ist ein Eingriff in ihre persönliche Integrität und steht niemandem von uns zu. Dass Aussage- und Chatprotokolle volé bei Boulevardmedien landen und zusätzlich ohne Beteiligung der Frau nun ein Bild über sie gezeichnet wird, das sie nicht beeinflussen kann, ohne selber an die Öffentlichkeit zu treten, kann und darf nicht in unserem Sinn sein. Opferschutz muss Vorrang haben. Wenn wir die Frage diskutieren, inwieweit Rafreiders Existenzgrundlage bedroht ist – warum lese ich dann so selten etwas von der bedrohten Existenzgrundlage der Frau? 

Für Rafreider gilt die Unschuldsvermutung.

Hier erwähnte Quellen zur Berichterstattung, sofern im Beitrag nicht verlinkt:
https://www.krone.at/1783993
https://www.news.at/a/roman-rafreider-vorwuerfe-10397002
https://www.oe24.at/oesterreich/chronik/wien/Roman-Rafreider-bricht-sein-Schweigen/352038501
https://www.krone.at/1788054
https://www.heute.at/szene/tv/story/Roman-Rafreider–ZiB–Moderator—Ich-habe-noch-nie-eine-Frau-geschlagen–51716856
https://www.oe24.at/leute/oesterreich/Rafreider-Die-geheimen-Chat-Protokolle/351784102

Quelle Titelbild | pixnio.com

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