Egal ob im Wahlkampf oder drum herum: Der Begriff ‚Mitte‘ – meist in Verbindung mit ‚gesellschaftlich‘ – inflationiert im öffentlichen Diskurs seit Jahrzehnten. Das Konzept der starren Mitte, die dasteht wie ang’stiedelt à la Fels in der Brandung wird als erstrebenswertes Nonplusultra präsentiert. Hört und liest man bei jenen nach, die für sich selbst beanspruchen, die Mitte zu repräsentieren, wird’s nicht unbedingt einfacher. Abseits wissenschaftlicher Definitionen der Mitte wollen viele mittig sein.

Die ‚Mitte‘ könnte man gemeinhin als die Mehrheit von Integrationswilligen bezeichnen, die einander beim Sich-in-die-Mitte-Drängen gegenseitig auf die Zehen treten weil es dort immer gar recht eng ist. In diese Mitte möchte man sich uneingeschränkt integrieren. In ihr aufgehen. Verschwinden, ohne an Wichtigkeit einzubüßen. Will unauffällig sein, aber nicht unsichtbar. Armut macht unsichtbar, die Mitte unauffällig. Und je unauffälliger, desto besser. Ideologisch wird’s noch komplizierter. Ist man als ‚Mitte‘ doch recht stolz drauf, entweder keine Meinung zu haben, unpolitisch oder objektiv zu sein. Gerne beruft man sich auf die Rechtsstaatlichkeit als das auf alles anzuwendende Maß aller Dinge. Moral und Empathie sind ergo irrelevant und keine notwendigen Kategorien, wie man in einer Gesellschaft miteinander umgeht. Intellektualität ist anstrengend, Selbstreflexion hat keinen Mehrwert.

Recht verräterisch wird es, wenn es um die Unverbrüchlichkeit humanistischer Prinzipien geht, die ja einmal ein Element der Mitte, des Konservativen darstellte – man kann es Nächstenliebe nennen oder auch anders. Diese Unverbrüchlichkeit gerät schon seit einiger Zeit gehörig ins Wanken. Und verschwindet immer mehr unter Forderungen nach ‚Vernunft‘. Als ob Vernunft das Ersaufenlassen von Flüchtlingen, das Beschneiden von Arbeitnehmer*innenrechten und Armenfeindlichkeit als Grundvoraussetzung hätte.

Spannend, wenn man sich die Genese dieser Erzählung genauer anschaut: Das Hochziehen von Mauern, die Forderung nach einer Festung Europa, das Verteufeln des Feminismus und die Ethnisierung gesellschaftlicher Problemlagen kennt man als Rechtsaußenpositionen. Die sich selbst als revolutionär präsentierende „Neue Rechte“ ballert diese Botschaften seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten als Kontrapunkt zum behaupteten „linkslinken“ Mainstream in den medialen Äther. Mit Erfolg. Die Narrative finden sich mittlerweile in liberalen Medien, werden von bürgerlich-konservativen Journalist*innen übernommen und gehen auf im Selbstverständnis der Mitte, als wären sie immer schon Teil selbiger gewesen. Ungleichheitsdenken wird ‚vernünftig‘, Biologismen werden zu „das war immer schon so, wehrt euch nicht dagegen“. Es entsteht der Eindruck, als wäre die Erleichterung darüber, was man (wieder) sagen darf, äußerst groß.

Verschwindet nun die Rechte in der Mitte? Oder die Mitte ganz rechts außen? Teilt sie sich in eine humanistische und inhumane Mitte? Nun, hier kommt ein wesentlicher Punkt ins Spiel: Reicht es zu beteuern, man sei Mitte? Auch wenn man noch so sehr Rassist*in, Sexist*in, Chauvinist*in ist? Reicht es, sich zu empören, wenn man als Rassist*in, Sexist*in, Chauvinist*in – gemeinhin Teilideologien rechtsliberaler bis rechtsextremer Denkweisen – benannt wird, um Mitte zu sein? Reicht es wiederum, sich zurückzulehnen, zu sagen „ich bin zwischen pro-contra“, „unpolitisch“ oder „Hauptsache, ich hab’ meine Ruh“? Dem Drang also nachzugeben, in der Mehrheit aufzugehen. Zu verschwinden im Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch nach ökonomischem Erfolg und ideologischer Beliebigkeit, derer man sich bedient bar jeder Prinzipien und Moral – je nachdem, was grad opportun erscheint.

Das, was fehlt: Das Addendum des unverbrüchlich Menschlichen. Das Menschliche, das die grundsätzliche Gleichwertigkeit als notwendig anerkennt, um nicht in die Barbarei abzurutschen. Weder Streben nach persönlichem und ökonomischem Erfolg noch Befindlichkeiten oder der Wunsch nach Wähler*innenstimmen sind wichtig genug, um den Humanismus zu kübeln.

Ist die ‚Mitte‘ rohe Bürgerlichkeit? Ich bejahe das. Ihr wohnt nichts Empathisches (mehr) inne. Das Libertäre hat sich gewandelt in einen brachialen Sozialdarwinismus, der Verantwortung externalisiert, Solidarität zur längst überkommenen Idee erklärt und verschwindet im beliebig Vernünftigen. Ihre Proponent*innen werden sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, das Ihre zum „das haben wir nicht kommen sehen“ beigetragen zu haben.


Der Text erschien erstmalig im Magazin der Gesellschaft für Kulturpolitik Oberösterreich im August 2018 im Rahmen des inhaltlichen Schwerpunktjahres zum Thema „Verschwinden“. 
Ausgabe 02/2018 | Verschwinden. Eine Frage der Kultur
Heftinhalt: 
Tanja Fuchs zum Klangfestival #10 | Li Gerhalter über Frauennachlässe | Wiltrud Hackl im Interview mit Clemens Frauscher über das Verschwinden toter Körper | Tobias Humer über die Sichtbarkeit geschlechtlicher Vielfalt | Walter Mathes über die Sehnsucht, Verschwundenes zu fühlen | Andrea Pollach über If I Had Land Under My Feet von Lotte Schreiber und TK1968+Kathrin Quatember über das Verschwinden in der Mitte | Luis Stabauerüber seinen Roman Die Weissen |  Volker Weihbold mit Fotografien zum Verschwinden 
Zu den Veranstaltungen der gfk oö

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