Diskussionen über Kultur und Kulturverständnis sind immer automatisch Diskussionen über Gesellschaft, Verteilungsgerechtigkeit und Hegemonie. Ansprüche auf die Deutungshoheit über Kulturpolitik legen sehr deutlich offen, welches Gesellschaftsbild vom Ansprucherhebenden vertreten wird. Kurzum: Kunst und Kultur sind politisch. Immer und zu jedem Zeitpunkt. Eine „unpolitische“ Kultur gibt es nicht. Sie kann inklusiv sein (Stichwort „Kultur von allen für alle“) oder exklusiv (und somit nur zugänglich für einen bestimmten Personenkreis, häufig aber bei weitem nicht immer sind es ökonomische Ausschlusskriterien). Sie kann progressiv sein und sich der Beteiligung verschreiben. Oder sie ist elitär und legt Wert darauf, möglichst unter sich zu bleiben. All das ist was? Eben. Politisch.
Interessant dazu der Beitrag von Alexander Nerat (FPÖ) bei der Budgetsitzung des oberösterreichischen Landtags im Dezember 2018. Interessant deswegen, weil hier sehr gut sichtbar wird, welches Kulturverständnis von den Freiheitlichen vertreten wird. Schieben wir die Polemik in dieser Rede einmal kurz auf die Seite und widmen wir uns der Vielzahl an expliziten und impliziten Botschaften, die hier vermittelt werden.
In seinen Ausführungen steht eine Aussage Nerats – oder wohl eher ein Vorwurf – am Beginn. Unter dem Slogan „No cash, no Kunst“ meint er, es sei traurig, dass Kulturarbeiter*innen (bzw. die Projekte, die sie umsetzen, denn darauf läuft es hinaus) Subventionen einforderten. Und er habe geglaubt, es gäbe Leute, die das (also kunst- und kulturschaffend zu sein) gerne machen. Er impliziert also, dass man als Kulturarbeiter*in seine/ihre Arbeit nur gerne macht, wenn man dafür keine Fördergelder bekommt. Hier schwingen gleich mehrere implizite Zuschreibungen mit:
- Kunst und Kultur sollen ehrenamtlich geschaffen werden. Schlussfolgerung: In weiterer Folge ist nur Künstler*in, wer a) so gut situiert ist, dass er/sie es ökonomisch leisten kann, kunst- und kulturschaffend tätig zu sein oder b) sich freiwillig in Armut begibt.
- Kultur sei Privatsache und Kulturförderung nicht Aufgabe der öffentlichen Hand. Wenn Kulturschaffende darauf pochen, dass es durchaus staatliche Aufgabe ist, durch Förderungen Kunst und Kultur erst zu ermöglichen, so scheint das Nerats Aussagen nach nicht erstrebenswert zu sein.
- Kulturarbeit ist keine Arbeit und hat somit auch Existenzsicherung nicht verdient.
Nächste Aussage: „Weil diese Damen und Herren (damit meint er Kulturarbeiter*innen, Anm. d. Autorin) scheinbar eine intellektuelle Narrenfreiheit genießen. Sie dürfen jeden beleidigen.“ Und weiter: „Denn Kunst muss provozieren, denn sonst ist sie ja keine Kunst.“ Nerat meinte das aber nicht deskriptiv oder gar positiv. In weiterer Folge stellte er die Bilder Bruegels in seiner Kritik über jene von Nitsch. Mit dem Hinweis, es sei seine persönliche Meinung und es „könne ja jeder sehen, wie er will“. Im Kontext seines Redebeitrags und des immer wieder von den Freiheitlichen artikulierten Kulturverständnisses folgende Anmerkungen:
- Zuerst wertet Nerat eindeutig. Indem er Kulturarbeiter*innen vorwirft, sie hätten „Narrenfreiheit“. Doch wen meint er wohl damit? Jene, die von Kulturförderungen profitieren? Vermutlich nicht. Unter den Empfänger*innen befanden sich nämlich 2017 nämlich auch Heimat- und Trachtenvereine und generell Vereine, die sich der Volkskultur verschrieben haben, die üblicherweise von den Freiheitlichen lobend erwähnt und nicht kritisiert wird. Nachdem er Nitsch und jene mit „intellektueller Narrenfreiheit“ vorab erwähnte, könnte man annehmen, er meine damit primär progressive, kritische und zeitgenössische Künstler*innen. Aber nix Genaues weiß man halt nicht…
- Mit der Beifügung, es „könne ja jeder sehen, wie er will“ wird vor dem Hintergrund der vorangegangenen Einschätzung der Werke Nitschs und der „intellektuell Narrenfreien“ genau eines nicht suggeriert: Dass jede*r das so sehen kann, wie er/sie möchte. Denn die wertende Botschaft ist bereits platziert.
Das Thema Volkskultur und Tradition darf bei Nerat natürlich nicht zu kurz kommen. Hier freut er sich sehr wohl über die Zuwendungen von Seiten des Landes. Doch es geht weiter: Der Landtagsabgeordnete lobt jene, die keine Förderungen bekämen, ehrenamtlich und auch noch karitativ tätig (demnach also nicht „gierig“) seien. Es folgt ein Lob auf die Goldhaube als „Bekenntnis zur Heimat“ und als „Bekenntnis zum Ehrenamt“ inklusive Seitenhieb auf das „Chancengleichheitsgesetz“, weil es gäbe ja nur so wenig „Goldhaubenmänner“. Sein zweites Beispiel: Der Kameradschaftsbund, der sich von einer „Schicksalsgemeinschaft“ zu einer „Wertegemeinschaft“ entwickelt habe. Er würde ohne öffentliche Fördermittel durch „Wertevermittlung“ und Sammlungen seinen Beitrag leisten. Beide würden nicht fordern, durch einen Vertrag vor der Erbringung der Leistung ihre Arbeit honoriert zu bekommen. Abschließend meint Nerat, Künstler*innen sollten sich ein Beispiel an den Ehrenamtlichen nehmen. Die in diesem letzten Abschnitt kommunizierten Erzählungen sind besonders spannend:
- Die Vereinnahmung der Volkskultur. Während progressive Kultur und ihre Träger*innen in Nerats Redebeitrag negativ dargestellt werden, präsentiert er die Volkskultur alleine durch die positive Bewertung als zu befürwortendes Gegenkonzept. Vor allem auf der Ebene der „Traditionsbewahrung“, also eines konservativen Wertekonzepts im Wettbewerb zur progressiven Kulturarbeit, die sinngemäß ohnehin nur auf Subventionen aus und dann auch noch kritisch sei. Was ja schlecht ist. Ein Versuch, Kulturschaffende untereinander in Konkurrenz zu setzen und einen ohnehin ständig unter Druck stehenden Gesellschaftsbereich noch weiter zu spalten.
- Ehrenamt als Optimum? Grundsätzliches sei hier angemerkt: Kultur kann und darf nicht allein als etwas gesehen werden, das lediglich in der Freizeit und als Hobby ausgeübt wird. Wie bereits weiter oben erwähnt: Kulturarbeit ist Arbeit. Und so sollte sie auch behandelt werden. Neben Infrastruktur und Kosten für Künstler*innen- oder Autor*innenhonorare muss diese Arbeit von Kulturinstitutionen und ihren Professionalist*innen – von Geschäftsführung, Redaktion, Erstellung von Programmen und Öffentlichkeitsarbeit, Netzwerkarbeit bis hin zur Expertise – bezahlt werden. Niemand käme auch nur ansatzweise auf die Idee, zum Beispiel bei der Planung einer neuen Brücke von Planer*innen, Statiker*innen oder Bauarbeiter*innen zu verlangen, ihre professionelle Arbeit ehrenamtlich zu verrichten. Brücken tragen Fußgänger*innen, Radfahrer*innen und Autos. Kulturarbeiter*innen tragen mit ihrer Arbeit zur Regionalentwicklung und zu einem fundamentalen Bedürfnis des Menschen nach kultureller Betätigung bei. Die einen bekommen ganz selbstverständlich ihre Arbeit bezahlt. Bei den anderen wird ihre Bezahlung immer wieder zur Disposition gestellt. In Anbetracht der Tatsache, wie prekär Kulturarbeiter*innen arbeiten müssen, ist das der blanke Hohn. Und sagt sehr viel aus über das freiheitliche Kulturverständnis.
- Thema Kameradschaftsbund: Den ÖKB ganz selbstverständlich als Kulturträger zu nennen, ist doch etwas gewagt. Der ÖKB vermittelte vor allem ab den 50er Jahren das Narrativ des heldenhaften (Wehrmachts)Soldaten als Vorbild und dominierte über lange Zeit vor allem im ländlichen Raum die Erinnerungs- und Gedenkpolitik. Warum dies so problematisch ist, könnt ihr hier ab der Seite 39 sowie ab Seite 86 nachlesen. Jedenfalls stellt Nerat hier ein zutiefst antimodernes Geschichts- und Erinnerungspolitikverständnis als etwas kulturpolitisch Positives dar. Wenig überraschend, aber jedenfalls eine deutliche Botschaft.
Eine kurze Zusammenfassung: In Österreich läuft sowohl im Bund als auch auf Landesebene (zumindest in Oberösterreich) ein Kampf um die kulturpolitische Hegemonie. Vor allem die FPÖ greift – genauso wie ihr zumindest wohlgesonnene und teilweise nahestehende Medien wie der Wochenblick oder Unzensuriert – progressive Kulturinstitutionen und Kulturarbeiter*innen an und fordert unpolitische und unkritische Kultur, um im nächsten Schritt ideologisch „genehme“ Künstler*innen (Beispiel wäre etwa Odin Wiesinger) als Idealtypus des Kulturschaffenden zu loben. Daran zeigt sich sehr schön, dass sich hinter der Forderung nach unpolitischer Kunst (ein Paradoxon) das Durchdrücken eigener kulturhegemonialer Ansprüche verbirgt. Volkskultur wird vereinnahmt (ob das allen dort Aktiven recht ist, wage ich mal sehr zu bezweifeln), moderne und vor allem provokative Kunst und Kultur werden diskreditiert.
All das ist nicht neu und schon gar nicht überraschend. Es gehört nur ab und zu aufgeschrieben, um zu verdeutlichen, was hier grade abgeht.