Ein Text zum Frauentag am 8. März und zur Debatte „Kind und/oder Karriere“. Gastautorin: Daniela Brodesser.
Altersarmut ist bei mir vorprogrammiert. Ich bin 43, habe zwei Jobs, um zumindest auf 25 Stunden pro Woche zu kommen und bin ständig auf der Suche nach mehr. Erfolglos. Mit vier Kindern ist die Realität aber nun mal so, dass mehr nicht drin ist. Bei den meisten Frauen zumindest. Und ich kann froh sein, zumindest das zu haben. Glückstreffer.
Hätte ich mir das früher träumen lassen? Nein. Aber wahrscheinlich war ich auch zu naiv. Beim ersten Kind fand ich schnell wieder zurück ins Arbeitsleben. Vollzeit in einem kleinen Unternehmen und trotz Kinderkrippenkind eine Führungsposition. Ich lebte meinen Traum. War doch einfach, was faseln die alle von wegen Kind oder Karriere. Geht beides. Damals hatte ich eine Stadtwohnung, ein tolles soziales Umfeld, kein Problem, falls Überstunden nötig waren.
Damals.
Ich war jung, dumm und überheblich. Und dann hab ich geheiratet. Sozusagen eine „richtige“ Familie gegründet, wie es mir vom Umfeld ständig nahegelegt wurde. Braucht Frau, um endlich eine richtige Frau sein zu dürfen. Der Mann baute seine Firma auf, ich als brave Ehefrau hielt ihm den Rücken frei. Und war für den Nachwuchs zuständig. Wir wollten beide eine große Familie. Ist doch wunderschön. Viele Kinder, eine Firma, und arbeiten gehen, sobald die Kinder im Kindergarten sind, sollte doch erfahrungsgemäß absolut kein Problem sein. Kannte ich immerhin aus eigener Erfahrung. Wird sich schon nicht geändert haben.
Sicher nicht.
Doch oft kommt es im Leben so, wie frau sich das nicht erträumt hatte: dein Kind hat von Geburt an schwere gesundheitliche Probleme. So massiv, dass die ersten Lebensjahre an arbeiten überhaupt nicht zu denken war. Aber gut, die Firma lief und finanziell war es nicht wirklich eng. Also hab ich mich auf das Dasein als Mutter konzentriert. Nebenbei ein wenig gejobbt. Aushilfsjobs, Spielgruppen, Nachhilfe. Die Jahre vergingen, das Kind kam in die Schule, hatte aber aufgrund der Grunderkrankung viele Fehlzeiten. Jobsuche? Noch unmöglich. Wird aber bald besser. Sagst dir dann immer vor.
Mit Sicherheit.
Vor drei Jahren wurde es gesundheitlich bei der Kleinen so gut, dass ich begann, Bewerbungen zu schreiben. Eine nach der anderen. Ich glaube, es gibt keine Stellenanzeige und Firma in meiner Umgebung, die ich nicht kenne. Alles war dabei. Vom Büro über Handel bis Tankstelle und Gastgewerbe. Von Teilzeit bis Vollzeit, von freier Dienstnehmerin bis freiberuflich. Eine Mutter mit vier Kindern, die jahrelang zu Hause war? Wer nimmt die schon. Die erste Zeit war extremst deprimierend. Absagen, wenn sie denn überhaupt kamen. Ansonsten nicht mal eine Antwort. Nichts.
Irgendwann hab ich den Spieß umgedreht und in meinen Bewerbungen das Muttersein als beste Voraussetzung für den Job verkauft. Hat zumindest soweit funktioniert, dass ich zu Vorstellungsgesprächen eingeladen wurde. Dann war auch schon Schluss. Keine Ahnung, ob sie eine 40+ vierfach Mutter einfach mal kennen lernen wollten, weil eher schon die Ausnahme (“Wir hatten noch nie Bewerbungen von Müttern mit so vielen Kindern”, ahja, bin anscheinend eine eigene Spezies), wirklichen Einstellungswillen konnte ich bei keinem einzigen der Gespräche sehen. Nur Erklärungen, dass es als Vierfachmutter ja schier unmöglich sei, halbwegs normal arbeiten gehen zu können. Wie ich das denn schaffen wolle. Wie ich Kinder und Schule und Krankheiten unter einen Hut bringen wolle. Dass die Kinder einen Vater haben, der noch dazu im gleichen Haushalt wohnt, war nie Thema. Väter kümmern sich anscheinend nicht um Kinderangelegenheiten. Noch immer nicht. Ist sowas wie ein Fremdwort. „Wie, Ihr Mann übernimmt auch die Kinderbetreeung? Das ist aber sehr löblich“, oder „Alle Achtung vor ihrem Mann, wenn er einverstanden ist, dass sie arbeiten gehen“. Einzelfälle von alten Patriarchen? Eher nicht. Die Gesprächspartner waren größtenteils unter 40, viele von ihnen Frauen.
Back to the 50 ́s.
Jedes verdammte Gespräch hat sich um die Kinderbetreuung gedreht. Nicht darum, was ich kann, was ich bisher gemacht habe oder mir in den letzten Jahren an Wissen und Können angeeignet habe. Nein. Wie machen Sie das mit den Kindern….
Neben der erfolglosen Jobsuche, die sowieso extrem an deinem Selbstbewusstsein nagt, kommen die Vorbehalte deiner Umgebung. Manche offen, manche hinter deinem Rücken. „Die will ja gar nicht arbeiten gehen; wieso hat ́s auch so viele Kinder bekommen; typisch asozial. Die lebt doch eh gut von der Familienbeihilfe“ und so weiter und so fort. Frau lernt, damit zu leben. Ignorieren. Ab und an die Versuche, sich zu verteidigen. Aber ehrlich – wofür? Dass ich seit gut 20 Jahren vier Kinder großziehe? Versuche, ihnen die Bildung bieten zu können, die sie am besten fördert. Dass ich trotz langer Zeit der Armut nicht aufgegeben habe, Bildung an oberster Stelle einzuordnen? Verteidigen, weil ich eine Frau bin und mir erlaubt habe, den Traum einer Familie zu verwirklichen? Verteidigen, weil in unserer Gesellschaft Mütter mehr denn je zurückgestellt werden. Weil ihnen keine Anerkennung entgegen gebracht wird? Weil es von ihnen abverlangt wird, Kinder und Karriere möglichst still und leise bewältigt zu bekommen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen? Weil nicht ist, was nicht sein darf. Weil Österreich doch so vorbildlich in Sachen Vereinbarkeit ist? Verteidigen, weil ich als Frau und Mutter mehr stressresistent und multitaskingfähig bin als die meisten der Topmanager dieses Landes? Verteidigen, weil ich Frau bin?
Ich hab es satt. Satt, mich entschuldigen zu müssen, Mutter zu sein. Satt, mich erklären zu müssen, wie ich die Kinderbetreuung gebacken bekomme. Satt, mir ständig anhören zu müssen, wie wundervoll der Vater ist, weil er seinen Teil der Hausarbeit und Kindererziehung übernimmt, wenn ich die paar Stunden in der Arbeit bin. Wir sind Eltern. Wir sind Partner. Wir sind ein Team. Bei uns gibt es keine Rollenverteilung mehr. Gab es mal, ja, zu der Zeit damals war’s aber auch gut so.
Der Altersarmut werde ich nicht mehr entkommen. Ich habe mich jahrelang für die Kinder entschieden. Anfangs freiwillig, danach weil es eben so sein musste. Wäre ich lieber arbeiten gegangen? Natürlich. Konnte ich es ändern? Nein. Werde ich in Zukunft oft den Vorwurf hören, ich sei selbst schuld an meiner Altersarmut? Mit Sicherheit. Will ich mich jedes mal erklären, dass es mit einem beeinträchtigten Kind eben nicht so läuft, wie frau sich das ausgemalt hatte? Nein, ich bin müde. Müde, mich immer wieder erklären zu müssen, so wie tausende andere Mütter in unserem Land auch.
Würde ich den gleichen Weg nochmal gehen? Ja. Mit einem einzigen Unterschied: ich würde bereits in jungen Jahren beginnen, gegen diese Ungerechtigkeiten anzukämpfen. Würde schon viel früher aufstehen und laut werden. Und mir kein schlechtes Gewissen einreden lassen. Damit habe ich lange genug gelebt. Würde mich einsetzen, dass Mütter und Väter ab dem ersten Tag der Geburt des Kindes wirklich die gleichen Rechte und Pflichten haben. Gleich, ob als Partner oder getrennt lebend. Ein Wunschdenken, klar. Genauso, wie der Traum, dass Mütter keinen Karriereknick mehr erleben sollen, sobald sie Kinder haben. Doch frau darf Wünsche haben. Und ich wünsche es mir für meine Kinder. Ein Leben ohne Angst, wie die Karriere weitergeht nach dem ersten Kind. Ohne Bedenken, wie die Vereinbarkeit klappen könnte, ohne Angst, alleinerziehend in die Armutsfalle zu tappen. Kinder dürfen in einem der reichsten Länder dieser Welt kein Grund mehr für Gehaltseinbußen oder gar Armut sein. Wir haben das Jahr 2019. Und zu viele Frauen überlegen, ob sie es sich tatsächlich leisten können, ein Kind zu bekommen. Ein Armutszeugnis für dieses Land.
Daniela Brodesser: 43, Mutter, 2 Minijobs. Versucht, das Tabuthema Armut sichtbar zu machen.