Im neuseeländischen Ōtautahi (auf Twitter machte die Userin @migrantifa darauf aufmerksam, dass weiße Siedler*innen der Stadt den Namen „Christchurch“ gaben; im weiteren Textverlauf werde ich deswegen die Siedlungsbezeichnung der Māori verwenden) wurden 50 Muslim*innen von einem rechtsextremen und rassistischen Täter ermordet.

Wichtiger als die Geschichte des Täters sind die Geschichten der Opfer. Zu oft geben wir den Tätern Raum, fragen nach irgendwelchen „Gründen“ oder „Motiven“ für die Morde, weil es doch so schön gruselt davon zu lesen, wie groß Hass sein kann. Bis ins kleinste Detail wissen zu wollen, was den Täter antrieb, während wir zugleich die Gesichter der Opfer in Vergessenheit geraten und in die Anonymität der gesichtslosen Zahl x abgleiten lassen ist ein Mechanismus, der immer wieder zu beobachten ist. Und wir sind mitverantwortlich daran, wenn wir zwar recht betroffen die „thoughts and prayers“ und die „egal von welcher Seite“-Postings lesen und teilen, während wir zugleich völlig übersehen, dass das Vergessen, das Entmenschlichen, das Sündenbockprinzip rechter Propaganda und die Übernahme derartiger Narrative in den öffentlichen und medialen Diskurs westlicher weißer Mehrheitsgesellschaften den Boden für den Hass bereiten.

Diskursverschiebung

Es ist eine Gemengelage an tief eingeschriebenen rassistischen, chauvinistischen, elitären und diskriminierenden Prinzipien, dem systematischen Wegschauen und einer Diskursverschiebung, die als „war immer schon so“ und „wird man wohl noch sagen dürfen“ normalisiert werden. All das war immer da – Stichwort NSU, Utøya, Charlottesville – und allein in Deutschland wurden seit 1990 mindestens 169 Menschen von Rechtsextremen umgebracht. 169 Vergessene, über die man selten bis nie liest. Darunter Sevda Dağ (45), Chousein Daitzik (18), Selçuk Kiliç (15), Giuliano-Josef Kollmann (19), Can Leyla (14), Janos Roberto Rafael (15), Armela Segashi (14), Sabina Sulaj (15) und Dijamant Zabergja (21). Sie wurden im Juli 2016 in einem Münchner Einkaufszentrum von einem Täter erschossen, der seine Opfer nach rassistischen Kriterien auswählte. Oder Charles Werabe (55), im Oktober 2015 von rassistischen Tätern zu Tode geprügelt. Klaus-Peter Kühn (59) – der Erwerbslose wird von den Tätern als „Penner“ abgewertet. Sozialdarwinismus, wie wir ihn nicht nur in rechtsextremen Kreisen finden.

Rassismus, Abwertung, Entmenschlichung, Sündenbockprinzip, Ausgrenzung, Ignorieren, Sexismus, Transfeindlichkeit, Silencing (also die Absicht, Menschen und ihre Anliegen möglichst stumm zu halten und in der Öffentlichkeit zu diskreditieren oder lächerlich zu machen): All das findet sich in diesen Taten wieder. Und mitten in unserer Gesellschaft. Die Täter*innen und ihre Taten werden gerne pathologisiert. A la „er ist ein Monster“ oder „der irre Mörder“ oder „was im Leben von xy schiefgelaufen“. Diese Pathologisierung und die Denkweise, dass diese Täter*innen für Extreme stünden und irgendwann in ihrem Leben „falsch abgebogen“ seien und all das mit öffentlichen Diskursen nichts zu tun hätte hat nur einen einzigen Zweck: Sich nicht weiter damit auseinandersetzen zu müssen. Ist passiert, lässt sich nicht verhindern, die Opfer waren Muslim*innen. Jo mei. Aber hat nix mit nix zu tun.

Der Versuch zuzudecken

Wenn Menschen aus Konflikt- und Kriegsgebieten, vor extremen Klimaereignissen, Ausbeutung, Gewalt und/oder der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen fliehen, fällt uns nichts Besseres ein, als sie als „Wellen“, „Ströme“, „Krisen“ zu bezeichnen und ihnen den Wunsch auf würdige Existenz – siehe die massiven Eingriffe in die Mindestsicherung – abzusprechen. Aber es geht noch weiter. Es wird ethnisiert, Muslim*innen und People of Colour werden kriminalisiert, identitäre Narrative (Stichwort „großer Austausch“) wandern ganz selbstverständlich in die bürgerliche Mitte, über das willkürliche Einsperren von Menschen soll „diskutiert werden dürfen“ und während Viktor Orbán antisemitische Kampagnen fährt und dafür natürlich nicht konsequent aus der EVP geworfen wird, debattiert unsereins grundsätzlich nicht über die Kontinuitäten des Antisemitismus, der besonders in Österreich nie weg war. In einem Land, dessen Erinnerungspolitik seit Jahrzehnten uneindeutig vor sich hin hinkt, schaut man den besonders lauten Wird-man-wohl-noch-sagen-Dürfer*innen aufs Maul und trifft volé politische Entscheidungen, die in erster Linie trennen. In „uns und die anderen“, wobei „die anderen“ die sind, denen man Schuld gibt an allem, was grad so daherkommt: Antisemitismus, Arbeitslosigkeit, Facharbeiter*innenmangel, Bildungsdefizite, Gewalt an Frauen, Sexismus. Die Frage, wie rassistisch, bildungsfeindlich, sexistisch diese politischen Entscheidungen sind, stellt sich dann ja gar nicht mehr.

Überdeckt wird all das, von dem ich bis hierher geschrieben habe, durch den Versuch, diese eigene Politik der Marginalisierung und Diskriminierung zuzudecken. Im Falle von Ōtautahi lässt sich dies gut zeigen am Tweet von Annegret Kramp-Karrenbauer. Sehen wir uns die Formulierung und Botschaft etwas genauer an:

„Egal gegen wen sich Hass, Gewalt und Terror richten, am Ende sterben Menschen, verlieren Kinder ihre Eltern und Eltern ihre Kinder.“

Jede*r, der_die das liest, wird sich denken: Jo eh. Na logisch. Aber: Allein dieses „egal“ am Anfang deckt hier etwas Entscheidendes zu. Die Opfer waren Muslim*innen. Sie wurden getötet, eben weil sie Muslim*innen waren. Wenn man versucht, das zuzudecken, deckt man auch zu, dass Muslim*innen heute zum Sündenbock gemacht werden. Und zwar nicht nur von Rechtsextremen, sondern systematisch und mit bürgerlichem und selbst liberalem Support. In medialen Diskursen, in gesellschaftlichen Diskursen und durch politische Entscheidungen.

„Dafür kann es keine Erklärung und darf es nie Entschuldigung geben.“

Natürlich gibt es dafür eine Erklärung. Und zwar diese:

Und zur Frage, ob man daran „Zweifel“ aufkommen lassen darf. Natürlich zweifle ich an, ob derartige Erklärungsmuster wie die von Kramp-Karrenbauer passend sind für rechtsextreme Haltungen, die immer tiefer in Gesellschaft und Diskurs einsickern (Spoiler: sind sie nicht). Es ist der Versuch, die Ermordung von Menschen durch Rechtsextreme wie in Ōtautahi zu einem Einzelfall zu machen, um die eigene Mitverantwortung an Rassismus, Abwertung, Entmenschlichung, Sündenbockprinzip, Ausgrenzung, Ignorieren, Sexismus, Transfeindlichkeit und Silencing zu externalisieren. An den vermeintlich verwirrten und durch „schlimme Erfahrungen“ radikalisierten Einzeltäter, mit dessen Einstellung man ja aber auch so gar nichts gemein hat.

Wenige Tage nach der Ermordung von Atta Elayyan, Sayyad Milne, Mucaad Ibrahim, Husna Ara Parvin, Haji Daoud Nabi, Naeem Rashid, den Männern, Frauen und Kindern sind wir an einem Punkt angelangt, an dem es nicht so aussieht, als ob es viele Round Tables, TV-Diskussionen zu „Reden wir über rechtsextreme Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft“ oder Task Forces zu rechtsextremen Netzwerken geben wird. Es geht weiter wie bisher. Mit „thoughts and prayers“ und Betroffenheitsfloskeln. Die nächsten muslimfeindlichen Plakatkampagnen kommen bestimmt.

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