Die schwarzblaue Bundesregierung ist geplatzt. Der nach außen propagierten Harmonie kam der Leak des Ibizavideos dazwischen. So weit, so gut. Am heutigen Tag, an dem auch dieser Blogeintrag gerade entsteht, stehen wir vor der Frage, ob ein Misstrauensantrag gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz durchgeht oder nicht. Im Stundentakt gab es in den vergangenen Tagen Livestreams, Stellungnahmen, Rücktritte und sogar die Entlassung eines Innenministers. Man hantelt sich von Headline zu Headline, von Nachrichtensendung zu Nachrichtensendung.

Der richtige Zeitpunkt, um ein bis zehn Schritte zurückzugehen in der Analyse. Der richtige Moment, um sich der viel gestellten Frage zu widmen, wie es so weit kommen konnte. Von oben draufzuschauen und sich die Zeit zu nehmen, das ganze ohne Schlagzeile zu betrachten. Etwas philosophischer und weniger journalistisch.

Und ich werfe den Begriff der „Hegemonie“ in den Raum.

Naturalisierung für die Macht

Ihr fragt vielleicht: Wie? Was? Ma oida, net schon wieder so eine Diskussion aufgebracht durch eine elitäre Intellektuelle, die glaubt, sie hätte die Weisheit mit dem Löffel gefressen. Verschon uns!
Ihr werdet im Laufe des Textes merken, dass dieser Begriff sehr viel damit zu tun hat, was hier und heute und jetzt gerade passiert. Also runter vom Gas und weiterlesen. Beziehungsweise weiterhören.

Einen Beitrag nämlich aus der „Sendereihe Radio Stimme“. Knappe zehn Minuten, in denen erklärt wird, was der Begriff „Hegemonie nach Gramsci“ eigentlich meint. Hört euch das an und dann reden wir weiter.

Also wir wissen nun: Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Hegemonien. Wirtschaftliche oder auch kulturelle. „Hegemonie“ bedeutet, dass einzelne Personen (oder auch mehrere), Institutionen oder eine ganze Klasse Macht ausüben. Klingt antiquiert und nach linkslinkem Marxistoleninistenzeugs. Aber lasst euch Zeit. Und lest weiter.

Wir haben gehört, dass diejenigen, die die Macht ausüben, bestimmte Interessen, die sie verfolgen, „naturalisieren“. Kurz (lol) zusammengefasst meint das nichts anderes als zu sagen: Das war schon immer so. So funktioniert das eben. Das ist allgemeingültig. Das ist doch nur vernünftig. Das ist natürlich. Wir sind uns alle einig, dass (whatever hier einfügen). Das hat so zu funktionieren. Dieses gerne propagierte Mitte-Ding halt. Beispiele dafür wären etwa „Der Markt regelt alles“, „Jedes Volk hat seine Bestimmung“ oder „Wir müssen die Kinderbeihilfe für andere EU-Bürger*innen aus dem EU-Ausland kürzen, denn das ist nur fair und die neue Gerechtigkeit“.

Das Problem bei dem Ganzen: Dadurch, dass Interessen jener Gruppen, die ohnehin schon die Macht haben „naturalisiert“ werden, bekommen die Menschen den Eindruck, dass sie ohnehin keine andere Wahl hätten. Dass das doch objektiv gesehen (sic!) nur vernünftig wäre, diese als „notwendig“ erachteten Maßnahmen zu unterstützen. Geht quasi gar nicht anders. Auch wenn’s gegen die eigenen Interessen geht: Es sei doch grundvernünftig.

Ich sag’s gleich: I’m very sorry, but…

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Ganz so einfach ist es nämlich nicht.

Propagierte Vernunft aus Eigeninteresse

Ob Sozialhilfe, Familienbonus oder Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen: All das wurde als „vernünftig“ gepriesen von denen, die die Hegemonie und die Deutungshoheit haben/hatten. Den Interessen des Großteils der Menschen läuft’s halt aber trotzdem entgegen. Entweder weil es über kurz oder lang eine Schlechterstellung der Empfänger*innen von Sozial- und Gesundheitsleistungen bedeutet oder eben eine Besserstellung derer, die ohnehin finanziell ganz gut aufgestellt sind. Hegemonien werden verfestigt.

Nun werdet ihr vielleicht sagen: Ja aber mich wird’s sowieso nie treffen, dass ich auf Sozialhilfe angewiesen bin. Da halt ich dagegen: Wie wir sehen, ist man selbst als Vizekanzler (übrigens Hegemon gewissermaßen) recht schnell seinen Job los. Also warum seid ihr euch so dermaßen sicher, dass euch das nicht auch irgendwann passiert? So ganz unvorhergesehen und zackzackzack.

Nun ist diese „Hegemonie“ gekoppelt mit ganz vielen anderen Dingen. Da wären einerseits manche Medien (sorry, die Medienkritik kann ich euch nicht ersparen) und Redakteur*innen, die den Vernunftspin – dieses „Naturalisieren“ – gerne mitspielen. Zum Beispiel, dass ein Misstrauen gegen Sebastian Kurz die Republik in die Instabilität stürzen würde. But why? Wir sind definitiv nicht in der Situation, dass die Abberufung der Person, die an der Naturalisierung von Benachteiligung bestimmter Gesellschafsgruppen fest herumgebastelt hat, eine Staatskrise auslösen würde. Es mag eine historisch gesehen relativ außergewöhnliche Maßnahme sein. Jemandem, der zwei Regierungen an die Wand gefahren hat, gegenüber nicht misstrauisch zu sein, ist aber alles andere als außergewöhnlich. Sondern eher grundvernünftig (second lol).

Nun, was braucht es zur Erlangung der Hegemonie? Dafür sind die Auszüge aus dem Ibiza-Video eine gute Folie. Da wären einmal Geld. Dann wäre da in weiterer Folge Macht über Medien. Und zwar nicht nur via Message Control oder Inserate, sondern so richtig. Also Einfluss über Miteigentümer*innen. Dann noch Kontakt zu denen, die die erheblichen Einfluss auf die ökonomische Hegemonie besitzen. Wirtschaftliche Schwergewichte mit Kontakt zu anderen (zum Beispiel russischen) Hegemonen.

Und last but not least wäre da noch der Versuch, die kulturelle Hegemonie zu erreichen. Zum Beispiel durch die Besetzung kulturpolitisch relevanter Gremien, das Diskreditieren progressiver Kultureinrichtungen und das Vermitteln eines elitären und/oder völkischen Kulturverständnisses als einzig wahres, also hegemonielles, Kulturleitbild. Selbstredend verquickt mit Sachzwängen, sprich finanzieller Ausstattung (oder eben dem Entzug derselben). So wir wieder bei der ökonomischen Hegemonie wären.

Das alles nur so als philosophisches Gedankengebäude.
Zackzackzack.


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