Sprechen wir über Pflege, Gesundheits-, Betreuungs- und Sozialberufe, müssen wir über Arbeitsbedingungen sprechen. Sprechen wir über Arbeitsbedingungen, müssen wir über die Auswirkungen auf die Gesundheit und die Existenz der Mitarbeiter*innen sprechen. Sprechen wir über diese Auswirkungen, müssen wir uns anschauen, was es heißt, in diesen Bereichen zu arbeiten.

Warum ich mich in diesem Blogbeitrag dem Thema widme? Weil ich beruflich wie privat erhebliche Berührungspunkte habe. Und weil es mich betroffen macht, wie wenig diese Lebens- und Arbeitsbereiche in der öffentlichen Wahrnehmung verankert sind. Der richtige Zeitpunkt also, wesentliche und vor allem soziale Fragen zu stellen.

#1 Von der Arbeit auch leben können müssen

Das mittlere Einkommen im Sozial- und Gesundheitsbereich liegt bei 23.338 Euro – das ist Rang 13 von 18 Wirtschaftsbereichen. Es ist daher keineswegs übertrieben, wenn die Sozialwirtschaft von betroffenen Beschäftigten wie Betriebsrät*innen immer wieder als „Niedriglohnbranche“ bezeichnet wird. Die Einkommen für Beschäftigte in der SWÖ liegen damit deutlich unter dem Gesamt-Schnitt (27.545 Euro) aller Branchen. Das trotz des hohen gesellschaftlichen Mehrwerts, den der Sozial- und Gesundheitsbereich erarbeitet.

Markus Koza: SWÖ-Verhandlungen: Ein paar Zahlen, Daten, Fakten. sozialmilliarde.at

Ob Beschäftigungsprojekte, die Betreuung von Menschen mit Behinderung, Kinder- und Jugendbetreuung, psychosoziale Dienste, Arbeitsintegration, Hospize, Frauenberatungseinrichtungen, Migrant*innenberatung oder Betreuung von wohnungslosen Menschen. All das sind Angebote, die einen gesellschaftlichen Mehrwert bringen, der nicht einfach so marktwirtschaftlichen Dogmen unterworfen werden kann und darf. Meistens fällt erst dann auf, wie wichtig diese Einrichtungen, Angebote und Projekte sind, wenn sie nicht mehr da sind. Weil sie gekürzt oder gleich komplett gestrichen werden.

Und nun zum eigentlichen Punkt: der Bezahlung. Wenn ich in Diskussionen höre, dass es doch nebensächlich sei, wie hoch das Gehalt sei, weil eins doch von den Klient*innen „so viel zurückbekäme“ und die Mitarbeiter*innen doch viel ~stolzer~ drauf sein könnten, dass sie so einen großen „Dienst“ an der Gesellschaft tun, steigt in mir das Bedürfnis auf, irgendwas gegen die Wand zu schießen.

  1. Um in diesen Bereichen arbeiten zu können, braucht es Bildung und Ausbildung. Ergo: Professionalisierung. Entsprechende Fachausbildungen dauern oft mehrere Jahre und kosten Geld. Und kleiner Hint: Nett lächeln, a bissl auf „Ausflug“ fahren wollen und ein Bedürfnis zu helfen reichen dafür fix nicht aus.
  2. Von ein paar netten Social-Media-Danke-Postings, dem Bewusstsein, dass die Gesellschaft ja eh im Großen und Ganzen ganz okay findet, dass du dich ins Burnout manövrierst und dem Wissen, dass deine Klient*innen ohne dich aufgeschmissen sind, kannst du halt trotzdem nicht deine Miete, die Kinderbetreuung und dein Essen bezahlen.
  3. Großes Thema Altersarmut: Der hohe Anteil der Teilzeitarbeit und der schlechte Verdienst plus erhöhte Gefährdung, aufgrund psychischer und/oder physischer Überlastung irgendwann aus dem Beruf aussteigen zu müssen (oder ausgestiegen zu werden) hat Folgen für die Pension. Kurz zusammengefasst: Danke für deine ach so wichtige Arbeit, aber dass du dir im Arbeitsleben wenig und im Alter gar nix mehr leisten kannst, interessiert uns dann doch eher peripher.

Zusammengefasst: Wenn Sozial- und Gesundheitsberufe angeblich die Berufe der Zukunft sind, dann müssen wir über faire Entlohnung sprechen. Diese Arbeitsfelder allein den Bedingungen des Marktes und der Optimierung auf Basis von Kennzahlen zu unterwerfen, wird zu einer weiteren Prekarisierung, immer höherer Fluktuation, einem Wegfall essentieller Beratungs- und Betreuungsangebote und einer Verschlechterung der Qualität führen. Davon abgesehen, dass sich qualitativ hochwertige Angebote dann nur noch jene leisten können, die den entsprechenden finanziellen Background haben.

#2 Stabilität

Stabile Teams sind im psychosozialen Bereich und in der Gesundheitsarbeit besonders wichtig. Eine hohe Fluktuation ist nicht nur eine große Belastung für die Mitarbeiter*innen, sondern wirkt sich unmittelbar auf die Klient*innen aus. Warum? Ganz einfach: Weil Vertrauensverhältnisse nicht von heute auf morgen aufgebaut werden können, Vertrauen seitens der Klient*innen und unter Kolleg*innen aber das Um und Auf ist.

Um diese Stabilität gewährleisten zu können, müssen mehrere Faktoren/Forderungen beachtet und berücksichtigt werden (kein Anspruch auf Vollständigkeit):

  • Wie oben bereits angesprochen: Ein Einkommen, das den Arbeitsaufwand, die Arbeitsbelastung, die Anforderungen und die hohe Verantwortung auch abbildet.
  • Umdenken in Richtung Arbeitszeitverkürzung. Markus Koza schreibt: „Ein wesentlicher Grund für die niedrigen Einkommen liegt im hohen Teilzeitanteil begründet. Mit einem Teilzeitanteil von 63 % sind die Sozial- und Gesundheitsberufe einsame Spitze in Österreich.“ Gerade in Anbetracht des hohen Teilzeitanteils und der enormen psychischen und physischen Belastung wäre es angebracht, über eine generelle Arbeitszeitverkürzung zu reden. Koza schreibt weiter „Die Gründe für die dominierende Teilzeit im Sozialbereich sind vielfältig: Einerseits liegt sind natürlich in fehlenden Kinderbetreuungseinrichtungen und der leider immer noch dominierenden, traditionellen, geschlechtsspezifischen häuslichen Arbeitsteilung andererseits auch darin, dass angesichts der hohen psychischen und physischen Belastungen mit hohen Burn-out-Raten nur Teilzeit möglich ist. Für den hohen Teilzeitanteil ebenfalls verantwortlich ist die Förderpolitik der öffentlichen Hand unter dem Diktat der „knappen“ Kassen. Vielfach sind für Sozialvereine nur Teilzeitverhältnisse finanzierbar. Entsprechend wird ausgeschrieben und eingestellt.“
  • Ordentliche Kinderbetreuungsangebote: Ob im Hospiz, in der Pflege oder in der Betreuung von Menschen mit Behinderung in Wohneinrichtungen – all das sind keine 9-to-5-Jobs (und ja, ich weiß, es gibt viele andere Berufe mit Schichtdiensten, Wochenendarbeit etc. Ich würde nur echt gerne jetzt beim Thema bleiben). Neben Wochenend-, Nacht- und Feiertagsdiensten spielt auch hier die hohe psychische und physische Belastung eine große Rolle. Durchgehende Carearbeit – das betrifft über die Maßen halt immer noch Frauen – ohne flächendeckende und hochqualitative Kinderbetreuungsangebote (bei gute Bezahlung derer – auch hier überwiegend Frauen – die diese Kinderbetreuung leisten natürlich) führt über kurz oder lang in die komplette Erschöpfung. Vom massiven Einfluss auf Sozialkontakte und Beziehungsleben erst gar nicht zu reden.
  • Entsprechende supervisorische und therapeutische Angebote für Mitarbeiter*innen.

In der Diskussion schlicht zu sagen „Wer in dem Bereich arbeitet, ist selber schuld“ (ja, schon oft genug gelesen und gehört), lässt es nicht nur an massiver Wertschätzung fehlen, sondern übersieht geflissentlich, dass jed*r von uns irgendwann im Laufe des Lebens auf Menschen angewiesen sein wird, die psychosoziale, Gesundheits- und/oder Pflegearbeit leisten.

Damit kommen wir zu Punkt 3.

#3 Wertschätzung

Wertschätzung: ein etwas abgenudelter und inflationärer Begriff. Ich verwende ihn trotzdem. Um über etwas zu sprechen, das mir schon länger sehr negativ auffällt: Das Überhöhen des Ehrenamts im psychosozialen Bereich einerseits. Andererseits die Betonung der Notwendigkeit des Zivildienstes für die entsprechenden Branchen. Nichts gegen ehrenamtliche Arbeit und nichts gegen den Zivildienst – aber dieses Schwert ist halt zweischneidig.

Wenn der hohe Grad ehrenamtlichen Engagements und die Notwendigkeit des Zivildienstes gepriesen werden, so ist die implizite Botschaft „Na wenn’s ehrenamtlich und über Zivildiener auch geht – warum dann überhaupt noch für die Arbeit ordentlich zahlen?“. Ergo: Die Profession und Leistung von Hauptamtlichen wird nicht in dem Maß anerkannt, wie es eigentlich sein sollte. Dem Bedarf an Betreuung, Beratung und Pflege, der in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auf uns zukommt, wird nicht durch besonderes Lob des Ehrenamtes zu begegnen sein. Es braucht vor allem – nicht nur, aber AUCH – Wertschätzung und Anerkennung der Arbeit jener, die diese Arbeit hauptamtlich leisten, wenn die Attraktivität für Sozial- und Gesundheitsberufe wieder steigen soll. Es benötigt die Sensibilität dafür, wie anspruchsvoll und fordernd diese Arbeitsbereiche sind. Und wie dringend notwendig es ist, dass wir als Gesellschaft auf diese Mitarbeiter*innen besonders gut acht geben.

Fazit

Es geht um Grundlegendes. Nämlich den Anspruch an den in Sonntagsreden so viel gepriesenen Sozialstaat, für jene da zu sein, die ihn brauchen. Nun: Das sind wir alle. Jede*r von uns wird über kurz oder lang in die Situation kommen, ihn in Anspruch zu nehmen. Übrigens ist das nichts Schlechtes, wie uns manche einreden wollen. Es geht hier nicht um Mildtätigkeit, sondern einen essentiellen Bestandteil einer fairen und auf Solidarität aufgebauten Gesellschaft, die sich eben genau nicht nach dem Prinzip „The wealthiest is the healthiest“ geht. Auch nicht bei jenen, die tagtäglich, an Wochenende, Feiertagen und in der Nacht um viel zu wenig Geld hochprofessionelle Arbeit leisten.

Erkennen wir das verdammt nochmal endlich an.

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