Es ist der richtige Zeitpunkt für eine Nachwahl(kampf)betrachtung. Eine Betrachtung von jemandem, die den Wahlkampf sehr intensiv mitbekommen hat. Und der x-te Artikel darüber, wer was wie wo falsch gemacht oder bei einem TV-Duell dreingeschaut, soll das hier – den Anspruch habe ich – nicht werden. Ich habe Fragen an die, die das hier lesen: Liege ich komplett daneben? Was sagt ihr dazu? Dieser Text soll keinen Anspruch erheben auf rechthaberische Klugscheißerei (derer es eh schon genug gibt). Es ist ein lautes Dahindenken, ein Formulieren dessen, was mir im Kopf so wenig greifbar herumwabert. Nicht zu Ende gedacht an manchen Stellen, mit mehr Fragen als Antworten und übermorgen vielleicht schon wieder überholt. Ich schreib ihn trotzdem.
Wen kümmert’s?
Während des Wahlkampfs habe ich mir unheimlich oft die Frage gestellt: Wen kümmert eigentlich was und wer bekümmert sich worum und um wen? Ist kümmern eigentlich ein zu passiver Begriff? Zu herablassend dem_der Bekümmerten gegenüber? Und dann las und hörte ich wiederum mehrfach „Kümmert euch!“
Es gibt viele Definitionen und noch mehr Interpretationen von dem, was Politik ist oder sein soll. Doch am einfachsten mag folgende sein: Politik ist der Wunsch danach, dass sich jemand kümmert. Um die kaputte Straßenlaterne genauso wie um das Schlagloch vor dem Haus, die Wohnung, den Sozialstaat, den Hortplatz fürs Kind, die endgültige Beendigung von Diskriminierung, die Brösel mit dem AMS oder den Pflegeplatz für die Oma.
Ich denke der Wunsch, dass „sich jemand kümmert“ ist uns allen irgendwo eigen. Wenn wir verunsichert sind, dann ist es gut, wenn sich jemand kümmert. Wenn wir ein Problem haben, ist es eine enorme Erleichterung, wenn jemand kommt und sich drum kümmert. Jemand, der_die Verantwortung übernimmt und sagt „Ach, scheiss dich net an. Das wuppe ich für dich“. Denn dann können wir durchatmen und mal eine Zeit lang Verantwortung abgeben. Daran ist nichts Schlechtes oder gar Verwerfliches. Zu viel lastet manchmal auf unser aller Schultern. Und je prekärer die Lebensumstände, desto größer die Last.
Paradox
Und nun zu meinem eigentlichen Punkt: Ist es nicht außerordentlich eigenartig, dass eine Partei wie die ÖVP, die – zusammengefasst – sagt „Kümmert euch um euch selber und wer das nicht zusammenbringt, ist selber schuld“ einen derartigen Zuspruch erfährt? Die das Dogma „sich um Schwächere kümmern“ so komplett pervertiert und aus der Pervertierung die Erzählung von Erfolg strickt? Die Erzählung von „etwas tun“. Nämlich sich eben nicht zu kümmern. Zumindest nicht um jene, die es besonders bräuchten, dass sich gekümmert wird. Es ist eine kapitalistische Ur-Erzählung. Und sie hat Mehrheiten. Die Angst davor, dass sich jemand um eine_n kümmern muss, ist aber – so erscheint mir – gleich groß wie das Bedürfnis danach, dass sich jemand kümmert. Und es ist paradox.
Das Kümmern wird von Parteien wie der ÖVP – nennen wir sie Rechtskonservative, Neoliberale, Konservative, egal – ins Private abgeschoben. Gekümmert wird sich idealerweise so, dass die gewählten Kümmerer der Nation sich nicht drum kümmern müssen. Aber halt auch nur dort, wo’s drum geht, staatliche Aufgaben dem_der Einzelnen umzuhängen: Kinderbetreuung, Pflege, Gesundheit, Armut. So sozialdarwinistisch, wie es sich anhört, ist es auch.
Oder soll man’s lassen?
Wenn Menschen, die vom Kümmern profitieren (und das sind jene, denen NICHT der Großteil des Vermögens in diesem Land gehört), dann jene wählen, die sich ums Kümmern nicht kümmern, dann müssen wir uns fragen, warum das so ist. Ist es, weil das Konstruieren von rassistischen, diskriminierenden und armenverachtenden Feindbildern einfach immer funktioniert? Ist es, weil – und nein, eine Medienkritik erspare ich uns sicher nicht – hier von zu wenigen kritisch nachgefragt und -gehakt wird (wenn überhaupt dann so à la „Ist Diskriminierung okay oder soll man’s lassen?“)? Und zwar aus dem Versuch heraus, journalistische „Objektivität“ zu erreichen, während man diskriminierende Erzählungen fesch weitertransportiert.
Es gibt in Österreich keinen Minimalkonsens, dass „sich kümmern“ etwas Positives ist. Der politische Diskurs ist verkümmert zu Phrasen, zu „wer schaut bei TV-Wahlkampfdiskussionen wie drein“, zu Parolen, denen die Programmatik fehlt und zu einer Mutlosigkeit. Dem Fehlen von Mut, ungeachtet der eigenen Partikularinteressen offen das Risiko einzugehen, Scheisse zu bauen. Oder eben wirklich etwas zu schaffen, das ein Kümmern ermöglicht. Sich eine Glätte, eine Unangreifbarkeit, eine absolute Fehlerlosigkeit zu erwarten – und dass wir dabei mitspielen – ist vor dem Hintergrund der letzten Monate eine Haltung, die wir hinterfragen müssen. Dieses Verkümmern des politischen Diskurses führt letztlich dazu, dass Glätte und absolute (angebliche) Fehlerlosigkeit zu Idealen werden, die auf uns alle angesetzt werden und die nicht zu erfüllen sind. Es verunmöglicht das „sich drum kümmern“. Wer sich kümmert, übernimmt Verantwortung. Wer Verantwortung übernimmt, dem_der kann es auch passieren, dass er_sie dann auch einmal sagen muss „Tut mir leid, aber hier steh ich an“. Wer das Kümmern ablehnt oder auf den_die Einzelne_n abwälzt, kommt gar nicht in die Situation.
Ist es das Tempo des Alltäglichen? Der Frust, dass sich die Zeiten halt nun einmal ändern? Ist es das „irgendwie schaff ich’s schon, dass ich mich selber drum kümmer“? Ist es der Wunsch danach, dass einfach jemand sagt „Ich kümmere mich“ und es dann nicht tut? Reicht es, das einfach nur zu hören? Ich weiß es nicht. Können wir etwas daran ändern? Ja. Aber es wird Zeit brauchen. Sehr viel Zeit. Und sehr viel Kümmern.