Ich hab ja eine ganze Menge an Accounts auf Twitter stummgeschaltet. Dazu gehört auch der von Sebastian Kurz. Weil ohnehin immer das gleiche erwartbare Gefloskel drinsteht, das wir auch in den inflationären Regierungspressekonferenzen hören. Also wozu das Ganze auch noch auf Twitter ertragen müssen?

Nun hab ich leider das Pech, dennoch regelmäßig seine Tweets in Form von Screenshots in die Timeline gespült zu bekommen. Einer davon:

Jetzt denkt ihr euch vermutlich: Ja okay, in der Reihe diverser Bullshitherumfloskelei ist das ja wohl nix Außergewöhnliches mehr. Stimmt. Allerdings versteckt sich darin eine ganze Reihe von Botschaften, wo es sich lohnt, wieder mal näher hinzuschauen.

Alles wurscht.

Zuerst einmal: Der ÖVP als neoliberaler Partei ist diese Hinwendung zur regionalen Produktion nicht abzunehmen. War ihr bisher wurscht, wird ihr auch in Zukunft wurscht sein. Regionale Produktion ist nur dann gewünscht, wenn sie sich gut auf PR-Fotos macht. Zudem kämpfen Klein- und Mittelbetriebe gerade ebenso um ihre Existenz wie viele Ein-Personen-Unternehmen, denen über Nacht die Einnahmen weggebrochen sind. Während etwa in Deutschland recht unbürokratisch recht hohe Hilfsbeträge ausgezahlt werden, ergeht sich Österreich in einem bürokratischen Kleinklein, wo Betroffene auf Kleinstbeträge ewig warten müssen. Eins bekommt fast den Eindruck, als würde mal grundsätzlich jede_r, der_die um Hilfe ansucht verdächtigt werden, bescheissen zu wollen. Also lieber die Zügel kurz halten, scheint mir die Devise. Und das alles, während Gemeinnützige – darunter auch eine große Zahl an freien Kultureinrichtungen – um Unterstützung flehen. Da taucht bei mir langsam die Frage auf, wo denn dann die ganze Kohle hinfließt. Vor dem Hintergrund des Datenskandals rund um eine bis vor kurzem öffentlich zugängliche Datenbank mutet das doch alles recht kühn an.

A paar Nätsch.

Nächster Punkt: „Kaufen sie regionale Produkte“ richtet der Bundeskanzler uns aus. Also ich will ja jetzt nicht irgendwie patzig werden. Aber Haberer, checkst du wirklich nicht, wie beschissen es derzeit zig hunderttausenden Menschen in Kurzarbeit und in Erwerbsarbeitslosigkeit geht? Für die ist nämlich „regional kaufen“ grad das kleinste Problem. Die können mit viel Glück die Güter des täglichen Bedarfs und ihre Miete bezahlen. Vom Zusatzaufwand für z.B. Homeschooling red‘ ich da noch gar nicht. Aber der Herr Oberblockierer bezüglich Erhöhung des Arbeitslosengeldes richtet den Betroffenen einfach aus: Ja bitte geht’s im Hofladen einkaufen, weil die Rettung der Wirtschaft ist schon auch euer Bier, gö. Anstatt bei der Unterstützung Rechtssicherheit zu bieten, individualisiert er wie gehabt die Verantwortung für die Krise, die jetzt noch nicht einmal ansatzweise ihre Folgen zeigt. Regional Einkaufen ist nämlich keine aktive Arbeitsmarktpolitik. Aktive Arbeitsmarktpolitik wäre etwa dem AMS genug Budget zu geben, damit es genug Ressourcen für Beratung und Maßnahmen zur Verfügung hat. Oder auch die Finanzierung von Träger_innen von Sozial- und Arbeitsmarktprojekten, die über Jahre hinweg ausgehungert wurden. Unter eifriger Beteiligung eben dieses Bundeskanzlers. Aber jetzt sollen wir jubeln, weil du a paar Nätsch rausrückst, wo viele nicht mal wissen, wie sie überhaupt rankommen?

Was bisher schon immer wieder spürbar war, wird jetzt offensichtlich: Dass „Kleine“ vor allem der ÖVP recht wurscht sind: Seien es unliebsame Kulturvereine, Klein- und Mittelbetriebe oder – und das vor allem – ArbeitnehmerInnen und Armutsbetroffene.

Das „österreichische Wirtshaus“ als „Balkanroute 2.0“

Und ich frage dich, Sebastian: Was meinst du mit „österreichischen Wirtshäusern“? Blitzt da womöglich wieder der altbekannte Rassismus durch? So wie bei deinem Unwillen, Geflüchteten zu helfen? Und das, obwohl sie mehr denn je ums Überleben kämpfen müssen, weil Österreich, weil Europa sie wieder mal im Stich lässt? So wie bei deiner Agitation rund um die leidige „Balkanroute“? Es is‘ schon recht grauslig, Sebastian.

Dass das in Österreich gut zieht – also diese Provinzialität gepaart mit Rassismus und reaktionärem Denken – ist nix Neues. Ich frage mich halt, ob das auch noch zieht, wenn die ersten. Einfamilienhäuser zur Zwangsversteigerung stehen. Wenn ein erklecklicher Anteil derer, die jetzt in Kurzarbeit sind (und davon schon nicht mehr leben können), dann endgültig in der Erwerbsarbeitslosigkeit landen und von 55% ihres Einkommens leben müssen. Und das länger als nur ein paar Wochen. Weil das alles mit a bissl „regional einkaufen“ nämlich nicht reparierbar sein wird. Ebensowenig wie mit dem Erhalt der big player, während die Kleinen runterschwimmen.

Ich möchte Fragen hören

Eine Unzahl an PKs sind ja eh ganz lieb. Aber spätestens jetzt ist Zeit, in den kritischen Fragemodus zurückzukehren: Wo bleibt die aktive Arbeitsmarktpolitik? Wo bleibt die starke Sozialpolitik? Wo bleibt die Unterstützung für die Armutsgefährdeten und die Armutsbetroffenen – völlig unabhängig davon, wann sie in diese Situation geraten sind? Wo bleibt der Support für die Gemeinnützigen, die hochprofessionelle Arbeit leisten und das unter schon vor der Krise prekärsten Bedingungen? Wann wird das „wir lassen niemanden zurück“ endlich eingelöst? Wie wird die Hilfe verbessert? Wo ist der sozioökonomische Nutzen dieser ganzen Hilfspakete? Oder geht’s wieder einmal darum, die Kernklientel zu bedienen, während alle anderen schauen dürfen, wo sie bleiben? Wird bald wieder mit dem Bashing gegen Erwerbsarbeitslose und Armutsbetroffene weitergemacht (rhetorische Frage, natürlich wird das passieren)? Wann wird PR nicht mehr mit Politik verwechselt?

Und wann werden endlich all diese Fragen öffentlich und unnachgiebig und konsequent gestellt? Langsam wird’s nämlich fad.

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