Ihr fragt euch jetzt sicher, was dieser Tweet soll und ob das überhaupt vergleichbar ist. Direkt vergleichbar nicht, da unterschiedliche Ebenen (darauf komme ich dann später). Aber was die Tragweite betrifft, lässt sich beides doch neben- und miteinander betrachten.
Die Ibiza-Affäre ist ein (demokratie)politischer Skandal. Wie tief sie tatsächlich reicht, wird sich hoffentlich noch im Untersuchungsausschuss klären. Strache tut, als wär die ganze Sache ein Furz in den Kies à la „Eh nix passiert“. Und der ÖVP ist die Untersuchung in erster Linie lästig, so zumindest der öffentliche Eindruck.
Die Komplexität der Affäre ist selbst für jene schwer zu fassen, die sich intensiv mit österreichischer Innenpolitik befassen. Was ich im Zusammenhang bei Gesprächen bisweilen sinngemäß höre: „Alle Parteien gleich korrupt. Scheiß Politik. Interessiert mich alles nicht mehr. Alle Politiker_innen sind gleich wenig vertrauenswürdig. Aber der Sebastian Kurz ist der Richtige für unser Land und der macht das schon gut“. Sein desaströser Auftritt beim Untersuchungsausschuss wird galant beiseite gewischt.
Ibiza befeuert vor allem zwei Dinge: Politikverdrossenheit einerseits, ein gewisses „Führerdenken“ andererseits. Also quasi „Alle korrupt, außer Kurz“. Demokratiepolitisch ist Art und Weise, wie die ÖVP das Prinzip des „starken Mannes“ für Stimmenmaximierung und Machtanspruch pusht, enorm gefährlich. Prozesse des Ausverhandelns scheinen der ÖVP ebenso lästig zu sein wie die Arbeit des Ibiza-Untersuchungsausschusses. Hat natürlich eine gewisse Binnenlogik: Beides würde den Machtausbau nur behindern.
Die Ibiza-Affäre war das Ende der ÖVP-FPÖ-Koalition. Aber nicht das Ende ihrer Politik bestehend aus Rassismus, Diskriminierung und Klassismus. Je nach Gelegenheit werden Sündenböcke ausgemacht. Da sind’s die Erwerbsarbeitslosen, dort Muslim_innen, da Armutsbetroffene, dort mehrsprachige Kinder. Und geflüchtete Menschen. Die ÖVP benützt die unerträgliche Situation der Menschen in Moria, um diesen Spin konsequent weiterzudrehen. Die Aufnahme Geflüchteter wird verweigert, Menschenrecht und Menschenwürde werden komplett ignoriert und Geflüchtete einmal mehr kriminalisiert. Was diese Blockadehaltung der ÖVP und der Ibiza-Skandal gemeinsam haben? Beides zerstört das Gespür dafür, was richtig und was falsch ist. Beides verschiebt einmal mehr die Grenze näher zur Ungeheuerlichkeit. Beides ist Wasser auf den Mühlen jener, die sich eine noch ungleichere Gesellschaft wünschen: Wo der Ibizaskandal (der Gipfel von „wer privilegiert ist, kann sich’s immer irgendwie richten“) ein „ja mei“-Schulterzucken auslöst und zugleich geifernder Zuspruch gegeben wird, Menschen im Elend verrecken zu lassen.
Und nun zur Frage, warum ich die Blockade für einen noch größeren Skandal als Ibiza halte. Vorweg möchte ich eines festhalten: Das heißt nicht, dass Ibiza nicht eine Zäsur in dieser Republik dargestellt hat. Die Affäre sucht ihresgleichen. Doch es ist eine andere Ebene. Denn die Blockade und die Agitation der ÖVP gegen die Aufnahme von Menschen aus Moria ist ein Zivilisationsbruch in der langen Reihe rassistischer und diskriminierender Politik, die unmittelbare Auswirkung hat auf jene, die die ÖVP je nach politstrategischer Laune grad zum Sündenbock erklärt. Die Agitation dieser Partei ist mehr als Nicht-Handeln und Ignoranz. Es ist das bewusste Spiel mit Täter-Opfer-Umkehr, mit Rassismen und Entmenschlichung Geflüchteter. Es mag vordergründig Kommunikationsstrategie sein, um bei der Wienwahl möglichst viele FPÖ-Wähler_innen abzugreifen. Doch diese Erklärung greift meiner Ansicht nach viel zu kurz. Hier geht es nicht um eine Ibiza-Affäre und demokratiepolitische Beschädigung (was für sich genommen schon drastisch genug ist), sondern um Menschenleben, die für weniger wert erklärt werden. Und zwar aus tiefster Überzeugung, die tiefer geht als reines Machtkalkül.
Sebastian Kurz macht Geflüchtete zu Täter_innen, legitimiert ganz selbstverständlich die Übergriffe der griechischen Polizei, die vor Ort die Arbeit von NGOs massiv behindert und framed die Aufnahme Geflüchteter und das zivilgesellschaftliche Engagement des Jahres 2015 als etwas Negatives:
Die antifaschistische Losung „Nie wieder“ wurde schon von den Identitären in Bezug auf 2015 umgedeutet. Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl schreibt dazu auf moment.at:
„In dieser Erzählung der Stunde Null wird gleichzeitig unterstellt, dass es davor keine Fluchtbewegungen gegeben hätte und „plötzlich“ 2015 so viele Leute da waren. Auch das stimmt nicht. Der furchtbare Krieg in Syrien, in Afghanistan und im Irak hatte schon zuvor viele tausende Menschen zur Flucht gezwungen. Nur sind diese in die Nachbarländer geflohen und wenn sie sich auf den Weg nach Europa gemacht haben im Mittelmeer ertrunken oder in Flüchtlingslagern wie Lampedusa oder auf Malta gelandet. Die Zäsur wird aber erst sprachlich hergestellt, als die Fluchtbewegungen in Mitteleuropa angekommen sind.“
All das ist bei der Kurz-ÖVP nichts Neues, werdet ihr jetzt sagen. Stimmt. Es ist nichts Neues. Es ist die altbekannte Strategie, Diskurse immer noch weiter nach rechts zu verschieben. In dem Wissen, dass verlässlich der Feuilleton mit Artikeln à la „Menschen retten oder soll man’s lassen“ nachziehen wird. In der Zwischenzeit sterben weiterhin Geflüchtete, wird weiterhin über Aufnahmezahlen gestritten, wird weiterhin wie selbstverständlich darüber gesprochen, lediglich Kinder zu evakuieren. Was ist mit den Erwachsenen, den Eltern, den Alten? In der Zwischenzeit wird mit Tränengas auf Menschen geschossen, die nichts mehr haben als ihr Leben. Und selbst hier wird noch verhandelt, ob ihnen das zusteht.
Moria oder „tauschen Menschenleben gegen Macht“. Diese Blockade der ÖVP ist ein Skandal so groß, dass er jede Dimension sprengt.