Am 5. Juli 2024 wurde auf den Facebook- und Instagram-Kanälen von Herbert Kickl ein Posting veröffentlicht. Es zeigt den Alpenverein-Generalsekretär Clemens Matt, den Naturfreunde-Geschäftsführer Günter Abraham und Gerald Dunkel-Schwarzenberger, seines Zeichens Präsident des Verbands Alpiner Vereine.

Ein Gruppenfoto der genannten Personen auf dem Facebook-Kanal von Herbert Kickl. Postingtext: "Diese Woche besuchten mich Clemens Matt (Österreichischer Alpinverein), Gerald Dunkel-Schwarzenberger (Verband alpiner Vereine Österreichs) und Günter Abraham (Naturfreunde) im Parlament. Wir haben uns intensiv über die apline Infrastruktur unterhalten. 
⛰️Für uns Freiheitliche ist klar: Es braucht ein Rettungspaket für unsere alpine Infrastruktur. 
ÖVP und Grüne müssen die Hilferufe der alpinen Vereine endlich ernst nehmen, die den laufenden Erhalt und Sanierungen von Schutzhütten, Wanderwegen und Klettersteigen nicht mehr alleine stemmen können. Die alpine Infrastruktur ist ein wichtiger Teil unserer österreichischen Identität, die vor allem von Ehrenamtlichen erhalten wird, und nicht zuletzt eine bedeutende Säule des Tourismus ist. 🇦🇹"

Binnenlogik

In einer unpolitischen, komplett ahistorischen und die eigenen Statuten ignorierenden Herangehensweise könnte man argumentieren, dass doch gerade politische Gespräche mit allen Vertreter*innen von Parteien geführt würden und die FPÖ ja eine ebenso legitime Partei sei, die man nicht ausschließen dürfe; der Text zu einer entsprechenden, sich irgendwie um die Kurve nudelnden Presseaussendung schreibt sich ja fast schon von allein. In einer unpolitischen, komplett ahistorischen und die eigenen Statuten ignorierenden Binnenlogik würde das vielleicht sogar irgendwie noch halbwegs Sinn machen. Wird aber halt schwierig, wenn wir uns die Frage stellen, wie das sein kann, dass Kickl dieses Treffen erwartungsgemäß natürlich für die eigenen Zwecke nutzt.

Die Strategie dahinter ist recht einfach erklärt: sich mit höchsten Vertretern von Vereinen, die als SPÖ- und ÖVP-nah gelten, zu einem Foto zusammenstellen, um zu suggerieren: Schaut, da gibt’s Leute, die nicht böse sind zu mir und mich nicht ausgrenzen. Noch ein bissl was zu österreichischer Identität dazugepostet und pfeift. Natürlich in dem Wissen, dass das zum Problem werden könnte. Allerdings nicht für Kickl.

Da krachen die Statuten

Während im Postingtext jeglicher Verweis auf die üblichen FPÖ-Themen fehlt, liest sich eine FPÖ-Presseaussendung von Ende Mai, die sich – ja wir staunen – auf der Homepage des Alpenvereins (Screenshot wurde gesichert) verlinkt findet, schon ganz anders. (Aktualisierung 23. Juli 2024: Die Verlinkung sowohl zur FPÖ-PA als auch zu einer SPÖ-PA wurde mittlerweile entfernt.) Kurzzusammenfassung: weil es Förderungen für Entwicklungszusammenarbeit und Unterstützung für Geflüchtete gibt, fehlt das Geld für „alpine Infrastruktur“. Ein altbekanntes Argumentationsmuster, das behauptet, es würde kein Geld für das völkisch definierte Konstrukt der „eigenen Bevölkerung“ in die Hand genommen. Und weil man schon mal beim Feindbilder-Abarbeiten ist, wird die Ukraine auch noch mit dazu genommen:

Textauszug: "Bereits seit Jahren würden die Freiheitlichen darauf hinweisen, dass die von der Bundesregierung budgetierten Fördermittel im Bereich der alpinen Infrastruktur nicht mehr ausreichen würden. Erst im September des Vorjahres habe die FPÖ im Nationalrat einen Antrag für eine Erhöhung der Bundesförderung eingebracht, der jedoch bis zum heutigen Tag vertagt worden sei. „Schwarz-Grün ließ bisher rund 153 Millionen Euro an Steuergeld in die zynische EU-Friedensfazilität fließen, mit der Waffen für das Selenskyj-Regime in der Ukraine gekauft werden, 139 Millionen Euro werden für Entwicklungszusammenarbeit an Drittländer gezahlt und 582 Millionen Euro sind nur für die Grundversorgung illegaler Einwanderer in diesem Jahr budgetiert: Geht es ums Ausland oder Asylforderer, dann ist Schwarz-Grün um das hart verdiente Geld der Österreicher nichts zu teuer, geht es aber um den Erhalt der alpinen Infrastruktur für die eigene Bevölkerung, um Unterstützung für unzählige meist Ehrenamtliche, die in ihrer Freizeit und mit Herzblut Wanderwege, Klettersteige und Schutzhütten erhalten, dann sitzen Nehammer, Kogler und Co. auf dem Sparknopf – das ist der eiskalte Zynismus dieser unseligen Regierung!“, so Kickl."

Die Ausführungen zur FPÖ kürze ich – weil altbekannt – an dieser Stelle ab: Weiter unten findet ihr eine ausführliche Link-Liste mit aktuellen Einschätzungen zur FPÖ unter Kickl.

Weiter im Text: Es ist mehr als irritierend, dass der Alpenverein derartige Inhalte über die Vereinshomepage verbreitet. Noch dazu, wo sie gegen die eigenen Grundsatzpositionen verstoßen, die eindeutig festhalten, dass der Alpenverein sich gegen Diskriminierung stellt und aktiv für Prävention von Diskriminierung und Gewalt eintritt:

Prävention von Diskriminierung und Gewalt 
Der Österreichische Alpenverein begleitet Menschen im Sinne des Vereinszwecks in der Ausübung von Aktivitäten in alpinen und außeralpinen Naturräumen. Er bietet ein Netzwerk für Menschen unterschiedlichster Orientierung und Herkunft. Alles gemeinsame Tun basiert auf der gegenseitigen Verantwortung für das Wohlergehen aller Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen. Die individuelle Persönlichkeit zu achten und zu fördern, insbesondere der Schutz vor Gewaltübergriffen und Diskriminierung jeglicher Art ist eine Maßgabe der Vereinsarbeit.


Gegenseitiges Vertrauen und Achtung ist die Basis einer fruchtbaren Zusammenarbeit. In diesem Sinne bekennt sich der Österreichische Alpenverein klar zum Schutz der persönlichen Integrität aller Mitglieder. Er schafft die Basis für offenen Austausch, Enttabuisierung und Sensibilisierung in Bezug auf jegliche Form von zwischenmenschlicher Gewalt und Diskriminierung. Diese Grundsätze gelten zwischen allen im Österreichischen Alpenverein ehrenamtlich Tätigen, allen Mitgliedern und allen hauptberuflich Beschäftigten sowie allen Menschen, die in irgendeiner Form Kontakt zum Österreichischen Alpenverein haben.

Nicht nur die verlinkte FPÖ-Aussendung, sondern auch der Auftritt mit Kickl verstößt gegen das eigene Regelwerk, das ja auch dem Schutz der Mitglieder zu dienen hat. Man muss sich die Frage stellen, was priorisiert wird: Diskriminierungsschutz oder politischer Opportunismus. Der Historiker Daniel Kufner fasst es in einem Kommentar zusammen:

Und jetzt? Jetzt posieren der Generalsekretär des Alpenvereins und der Bundesgeschäftsführer der Naturfreunde sowie der Präsident des Dachverbands der alpinen Vereine Österreichs mit Herbert Kickl. Warum? Weil sie Geld für die Infrastruktur brauchen – Hütten, Wege, Erhaltung und Sanierung. Dafür wenden sie sich an den Chef der Partei, die den menschengemachten Klimawandel anzweifelt? Obwohl gerade die Erderwärmung als einer der Hauptgründe für die gestiegenen Kosten der Wege- und Hüttenerhaltung angeführt wird? Heiligt der Zweck wieder einmal alle Mittel? Ein Gespräch zur Finanzierung mag notwendig sein, selbst mit Vertretern der FPÖ. Sich jedoch wahlkampfverwertend mit Kickl ablichten zu lassen, ist inakzeptabel. Die Normalisierung rechtsextremer Positionen durch solche Aktionen schadet unserer demokratischen Kultur.

Die Geschichte des Alpenvereins, die gekennzeichnet ist von latentem Antisemitismus ab den 1910er und 1920er Jahren bis hin zu sogenannten „Arierparagraphen“ und den Ausschluss jüdischer Personen aus dem Vereinsleben, einer Übernahme nationalsozialistischen Gedankenguts und einer Kooperation mit dem NS-Regime und einer langen Verweigerung einer entsprechenden Aufarbeitung, gebietet einen reflektierten Umgang mit der eigenen Verantwortung. Wenn auch spät, so hat sich der Alpenverein glaubwürdig und intensiv mit der eigenen braunen Vergangenheit auseinandergesetzt und weist darauf auch legitimerweise auf der Homepage hin. Daniel Kufner fordert in seinem Presse-Kommentar aber zurecht:

Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist jedoch kein Selbstzweck. Sie muss sich in den aktuellen Entscheidungen und Positionierungen der Vereine widerspiegeln.

Historisches Gewissen, wenn’s grad passt?

Das gilt auch für die Naturfreunde. Bereits vom austrofaschistischen Dollfuß-Regime verboten, versuchten Mitglieder der sich klar zu sozialdemokratischen Werten und zur Arbeiter*innentradition bekennenden Naturfreunde, auf unterschiedliche Art und Weise während des NS-Regimes unter Lebensgefahr im Verborgenen Netzwerke zu halten und sich in Widerstand und Resistenz zu engagieren. Eine genauere Geschichte inklusive Biographien könnt ihr hier im Detail nachlesen. Das Selbstbild der Naturfreunde ist nicht zuletzt durch diese historischen Erfahrungen geprägt und findet sich auch in den Statuten wieder:

Ziel der Naturfreunde Österreich ist es, den Menschen Naturerlebnisse zu vermitteln, den Gemeinschaftsgeist zu fördern, zu einer sinnvollen Freizeitgestaltung und zur Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen beizutragen. Die alpine Tätigkeit und die alpine Fachkompetenz stehen dabei im Vordergrund.
Die Naturfreunde Österreich bekennen sich zu einer Gesellschaft, die auf den Grundwerten Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität aufbaut. Sie unterstützen die lebendige Weiterentwicklung und ständige Erneuerung der Demokratie in allen Lebensbereichen.
Der Verein, dessen Tätigkeit nicht auf Gewinn gerichtet ist, bezweckt:


Menschen jeden Alters für erlebnisorientierte, naturnahe und umweltbezogene Freizeit­aktivitäten in der Gemeinschaft zu gewinnen und im Besonderen Kinder und Jugendliche für die Ziele der Naturfreunde so frühzeitig wie möglich zu begeistern.
Naturerlebnisse auch dort zu vermitteln, wo dafür keine ökonomische Rentabilität gege­ben ist. Der Verein setzt sich für freies Wegerecht im Wald und in Alpinregionen ein.
Die Förderung von Sport- und Fitnessaktivitäten, die umwelt- und ressourcenschonend und ohne Schädigung der Gesundheit ausgeübt werden; der Verein ist offen für neue Sportarten und Entwicklungen.
Die Förderung von Sportaktivitäten in den Kernbereichen Bergsteigen, Wandern, Sportklettern, Wintersport, Wassersport, Radfahren, Nordic Walking und Orientierungslauf.
Die Förderung der Idee, dass alle Menschen Gelegenheit zu einem naturnahen und kulturell sinnvollen Urlaub haben sollen.
Die Förderung von nachhaltigem Natur- und Umweltschutz sowie aktiver, ökologisch orientierter und sozialverträglicher Wirtschaftskonzepte, die in enger Zusammenarbeit mit den Betroffenen entstehen sollen.
Die Förderung von gesellschaftlichen Gruppen, die hinsichtlich ihrer Teilnahmechancen am naturfreundespezifischen Freizeitangebot benachteiligt sind.
Die Integration von Menschen unterschiedlicher Kultur, Religion oder ethnischer Herkunft in das Vereinsleben und den Abbau von damit im Zusammenhang stehenden Vorurteilen.
Die Förderung des gesellschaftlichen Bewusstseins der Menschen.
Die Förderung kultureller Aktivitäten, wie etwa auf den Gebieten der bildenden Kunst, der Literatur, des Theaters, der Fotografie, des Films, der Musik und des Tanzes.
Die Verbreitung der Naturfreundebewegung in anderen Ländern, sowie die Vertretung der Interessen des Vereins und der in ihm zusammengeschlossenen Personen in internationalen Gremien.

Zurecht sprechen sich die Naturfreunde beispielsweise für eine Umbenennung von Kletterrouten aus, „die den Nationalsozialismus huldigen oder Liedtexte von einschlägig rechten Metalbands entnommen sind“ und beziehen sich in dieser Forderung sogar auf die eigene leidvolle Geschichte, um diese noch zusätzlich zu unterstreichen.

Wie konnte es dann passieren, dass man sich jetzt Seite an Seite mit Kickl zeigt und sich für dessen parteipolitische Agenda benutzen lässt? War im Vorhinein nicht klar, dass es dieses Posting geben wird? Wurde das nicht ausreichend kommuniziert? Gab es ein Einverständnis (was es noch problematischer werden lässt)? Oder ist es schlicht Naivität? Opportunismus? Inkompetenz? War’s wurscht in der Hoffnung, dass es keine Kritik geben würde? Was da wohl die beiden Floridsdorfer Engelbert Magrutsch und Mathias Pista – beide Mitglied bei den Naturfreunden und vom NS-Regime zum Tode verurteilt – dazu sagen würden? Hilde Krones? Peppi Hofbauer? Max Opavril?

Hier geht’s auch um die Frage, ob die Verbindung zur eigenen Geschichte lediglich dann eine Rolle spielt, wenn sie grade in Presseaussendungen für Forderungen nützlich ist, aber dann schon wieder verworfen werden, wenn man sich an eine FPÖ anbiedert in dem Glauben, unter einer blauen Regierungsbeteiligung nicht die Mittel gekürzt zu bekommen. Ich muss euch leider enttäuschen. Die FPÖ agiert bei jedem ihrer Schritte ideologisch. Aus dem Feindbild „rote Organisation“ wird man nicht rauskommen, weil nicht die Naturfreunde darüber bestimmen, ob sie Feindbild sind oder nicht, sondern derjenige auf dem Gruppenfoto, auf das man sich einließ.

Appeasement’s not working

Appeasement funktioniert nicht. In knapp zwei Monaten wird sich entscheiden, wie’s weitergeht. Wenn die FPÖ den ersten Platz erreicht, werden sowohl Alpenverein als auch Naturfreunde es schwer haben, gegen eine blaue Politik und gegen Kürzungen anzugehen. Dafür wird Herbert Kickl sorgen. Mit einem Posting vom 5. Juli 2024.


Literatur & Podcasts rund um die FPÖ und Kickl

Markus Sulzbacher: Was im Verfassungsschutzbericht über die FPÖ zu lesen ist. Der Standard
SOS Mitmensch: Mehr als 200 rechtsextreme Verflechtungspunkte der FPÖ!
Natascha Strobl: Ist die FPÖ rechtsextrem?
Silke Hahne: Österreich: Wie „identitär“ ist die FPÖ?
Markus Sulzbacher: Warum Neonazis, Holocaustleugner und die FPÖ das DÖW attackieren
DÖW: FPÖ AUF1: gegen „Globalismus“, „Great Reset“ und „68“
Natascha Strobl: Eine Geschichte für alles: Was wollen FPÖ und AfD eigentlich?
Judith Goetz, Brigitte Temel: Die LGBTIQ-Feindlichkeit der (extremen) Rechten
Franziska Marquart: Rechtspopulismus im Wandel. Wahlplakate der FPÖ von 1978–2008. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft (ÖZP), 42. Jg. (2013) H. 4, 353–371
Das Oligarchen-Hotel und die FPÖ-Millionen. Podcast Der Standard
Herbert Kickl: Aufstieg eines Angstmachers. Podcast INSIDE AUSTRIA (4 Teile)

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