8. November 2024, Shoah-Denkmal am Judenplatz in Wien:

Es ist schon erstaunlich, dass Rosenkranz es überhaupt versucht hat. Über diese Chuzpe kann man sich ehrlich nur wundern, liest man über bisherige Äußerungen von Rosenkranz. Zum Beispiel hier.

Ich könnte nun den zigsten Artikel schreiben mit einer Recherche über die einschlägigen Verflechtungen von Rosenkranz oder seine Mitgliedschaft bei der Burschenschaft Libertas. Werde ich nicht. Ich möchte vielmehr mit einem großen Missverständnis aufräumen. Dem Missverständnis, dass ein Kranz reicht, um der erinnerungspolitischen Pflicht nachzukommen. Dem Missverständnis, Gedenken sei ein Selbstbedienungsladen, wo man sich je nachdem, ob’s gerade nützt, die Betroffenheitszuckerl rauspicken kann in dem Glauben, dafür auch noch gelobt zu werden.

Alleingelassen

Das mit dem Gedenken in Österreich ist so eine Sache. Bis zur Waldheim-Affäre dominierte das Gefallenengedenken die österreichische Öffentlichkeit bis in die kleinste Gemeinde. Der Kameradschaftsbund war allgegenwärtig und die Kriegerdenkmäler wuchsen wie Schwammerl aus dem Boden, ihre Einweihungen flankiert von Akteuren aus Politik und Kirche. Die Opfergruppen waren nur in den ersten Jahren nach 1945 für das offizielle Österreich insofern interessant, als dass sie zur Legitimation Österreichs als „erstes Opfer“ Nazideutschlands nützlich waren. Danach ging es darum, die Ehemaligen einzuhegen und ihre Stimmen zur Urne zu bringen. Sie hatten ja noch Stimmen im Gegensatz zu den vom NS-Terrorapparat systematisch Ermordeten und Vertriebenen und den wenigen Überlebenden, die nicht emigriert sondern geblieben waren.

Es waren Jahrzehnte des Vergessens und des Wegschauens. Die ersten Projekte zeitgeschichtlicher Forschung und Aufarbeitung waren nicht von breitem öffentlichen Interesse, viele NS-Karrieren wurden bruchlos zu Karrieren in der Zweiten Republik. Ungeahndet, ungesühnt. Sie fanden Platz in allen Parteien. Und gründeten sogar eine eigene (siehe Die FPÖ und ihr SS-Erbe).

Mit der Erinnerung und dem Gedenken ließ man die Überlebenden und die von ihnen gegründeten Organisationen alleine. Nebenlager und Außenkommandos von Mauthausen gerieten lange Jahre in Vergessenheit. Und damit auch das Bewusstsein darüber, dass der NS-Terror kein Werk weniger Führungskader war, sondern ein Netz an Vernichtung und Zerstörung, das bis in die kleinsten Orte reichte und ein „Das haben wir nicht gewusst“ schwer nachvollziehbar macht.

Mühevolles Erinnern

Es waren die Überlebenden und ihre Nachkommen, die Netzwerke der Erinnerung aufbauten und aufrecht erhielten. Die sich dem „Nie wieder!“ trotz aller Widrigkeiten verschrieben hatten. Es waren die ersten Oral History Projekte, die die Erinnerungen von Überlebenden zu konservieren versuchten. Es waren Wissenschaftler*innen, die systematisch anfingen zu recherchieren und zu dokumentieren und Gedenkstätten aufbauten. Mit wenig Ressourcen und oft genug gegen politische Widerstände und den Hass der Ewiggestrigen und ihrer Fans.

So entstand nur langsam, in kleinen Schritten und unendlich mühevoll eine österreichische Gedenk- und Erinnerungskultur, die geprägt ist von der Gestaltung der Erinnerung jener, denen von ihren Familien im besten Fall ein Foto, ein Taschentuch oder ein letzter Brief geblieben ist, bevor sie in die Maschinerie der NS-Vernichtungsindustrie geprügelt, geschleift, getreten wurden. Oft blieb aber auch nur ein Name. Das letzte verbliebene Stück eines Lebens. Es ist der Verdienst der Überlebenden und Hinterbliebenen, die bis heute gegen das Vergessen ankämpfen. Sie haben das Recht zu entscheiden, wie diese Erinnerung, wie Gedenken aussehen soll.

Mehr als ein Kranz

Erinnerungspolitik ist ein Kontinuum. Nicht nur ein Kranz, den man an bestimmten Tagen an einem Denkmal niederlegt. Erinnerungspolitik ist Denken, Verhalten, Positionierung an 365 Tagen im Jahr. Gedenken ist Parteinahme für die Überlebenden, die Opfer und die Nachkommen. An 365 Tagen im Jahr. Erinnerung ist, jeden Tag zu verhindern, dass so etwas wieder geschieht. Es ist Widerstand gegen all jene, die die Täter loben und ihre Ideologie in alter und neuer Form – ob ganz oder in Teilen – weitertragen.

Das Erinnern zu instrumentalisieren, um sich gegen Kritik zu immunisieren, ist eine Pervertierung all dessen, wofür es steht. Von den Nachkommen der Opfer der Shoah Respekt zu fordern, wenn man selber nicht bereit ist, Respekt zu zeigen, ist ein einziger Hohn. Wer auf der falschen Seite der Geschichte steht, weil er sich selber dorthin gestellt hat, hat es nicht verdient, Seite an Seite mit jenen zu stehen, denen von den Vorfahren nichts anderes blieb als ein Name, ein Brief, ein Taschentuch und die bestürzende Erkenntnis, dass es immer noch Menschen gibt, die die Täter verteidigen.

Bildnachweis: Screenshot aus dem Video der JÖH.

KatQuat Erinnerungspolitik, Politik, Rechtsextremismus